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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Berichte der Kundschafter von jenseits der Grenze trugen ebenfalls nicht zur Beruhigung bei. Zu Recht: Im Dezember ’45 überschritt die Armee der Sikhs den Sutlej, und wir mussten zu unserer eigenen Verteidigung angreifen. Mein erster Krieg!« Ralph strahlte über das ganze Gesicht. »Acht Wochen dauerten die Kämpfe, und die Sikhs machten es uns nicht leicht.« Er schüttelte lachend den Kopf. »Aber wir schlugen sie und zogen zu den Klängen von Händels See the Conquering Hero Comes mit einer Prozession erbeuteter Kanonen in Lahore ein!« Triumphierend ballte Ralph in einer energischen Geste die Hand zur Faust.
    »Und dann?« Maya nippte an ihrem Tee, und es fiel ihr schwer, Ralph nicht über Gebühr lange anzustarren. Die Tür zum Salon stand offen. Aus der Halle verrieten scharrende und schleifende Geräusche und das immer wieder ertönende Schnipp-Schnapp von Scheren, dass die Dekorationsarbeiten in vollem Gang waren. Martha Greenwood und Hazel trällerten leise Weihnachtslieder vor sich hin, hielten ein ums andere Mal inne, um sich darüber zu beratschlagen, ob die Satinschleife links oder rechts wirkungsvoller sei oder ob man besser die roten oder blauen Kugeln nähme, bis sie zu einer übereinstimmenden Meinung gelangt waren.
    »Nach dem Friedensvertrag wurde Sir Henry Lawrence zum Bevollmächtigten des Governor-Generals ernannt und sollte mit einer Handvoll Truppen dafür sorgen, dass der Punjab eine funktionierende Verwaltung und eine verlässliche Regierung erhielt. Darunter«, er verbeugte sich kurz, »auch meine Wenigkeit. Weil sich vor dem Krieg gezeigt hatte, dass Kundschafter nützliche Dienste leisten können, wenn es irgendwo gärt und Krieg zu befürchten ist und weil Lawrence eine mobile Kompanie vorschwebte, die quasi auf Zuruf und ohne lange Formalitäten in einen Krisenherd aufbrechen könnte, beauftragte er seinen Assistenten Lieutenant Lumsden mit der Gründung einer solchen Truppe.«
    »Die Guides , nehme ich an?«, warf Maya mit einem Lächeln ein. Angelina, die sich kerzengerade auf der Sesselkante hielt, ihre himmelblauen Röcke elegant ausgebreitet, unterdrückte ein Gähnen, bemühte sich aber um einen aufmerksamen Gesichtsausdruck, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt war, Maya böse Blicke zuzuwerfen. Gekonnt hatte sie auf dem Rückweg von »Boffin’s« den Gast ganz für sich eingenommen und ihn mit allerlei Fragen nach der feinen Gesellschaft Britisch-Indiens überschüttet, die dieser kurz und knapp beantwortet hatte. »Sehr gentlemanlike«, wie Angelina zufrieden befunden hatte. Doch kaum waren sie über die Schwelle des Hauses getreten, hatte Maya sich wieder so unverschämt in den Vordergrund drängen müssen.
    »Ralph«, ließ sich Jonathan im Sessel neben ihr vernehmen und schluckte den Rest seines Kekses hinunter, während er schon nach dem nächsten auf der silbernen Etagere langte, »du vergisst zu erwähnen, dass es sich dabei um eine Eliteeinheit handelt, nach dem Vorbild der gleichnamigen Truppe des großen Napoleon Bonaparte: Männer, einheimische Soldaten wie britische Offiziere, die ebenso hart im Austeilen wie im Einstecken sein sollen, zur Not auch auf sich alleine gestellt handeln und sich auch als«, er senkte für einen Moment seine Stimme zu einem verschwörerischen Raunen und sah seine Schwestern mit großen Augen an, » Spione hinter die feindlichen Reihen schleichen können.« Jonathan richtete den Zeigefinger auf seinen Freund. »Wie du dich mit deinem absolut englischen Aussehen als Sikh oder Pathane oder weiß-der-Geier-was Indisches glaubhaft tarnen willst, ist mir allerdings ein Rätsel.« Lachend steckte er sich den nächsten Keks in den Mund und fügte kauend hinzu: »Immerhin ist der Sold mehr als großzügig, und nicht nur deshalb sind Posten bei den Guides heiß begehrt. Falls ihr dort einen Arzt brauchen solltet – gib mir bitte Bescheid!«
    »Vorher ziehen wir zwei erst in den Krieg gegen Russland«, entgegnete Ralph fingerschnipsend mit ausgestrecktem Arm in Jonathans Richtung, ehe er sich wieder Maya zuwandte. Und obwohl es ihr vermessen erschien, so sonnte sie sich doch in dem Gefühl, dass er all das nur ihr allein erzählte.
    »Unsere Basis ist in Peshawar, in einem Gebiet, in dem alles staubig wirkt: Boden, Fels, Sträucher, manchmal sogar der Himmel. Und so kam Lumsden auf die Idee, unsere Uniform«, er strich über seinen Ärmel, »ebenso staubfarben einfärben zu lassen – khaki auf Urdu. Unser erster Einsatz ließ nicht lange

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