Unter dem Safranmond
der Tasse strichen, wenn er Jonathan aufmerksam zuhörte, bekräftigend dazu nickte und mit einem Grinsen etwas einwarf. Die Worte schienen förmlich an ihr vorbeizuflattern, schienen sie nicht einmal zu berühren. Stattdessen versank sie selig in den Szenen, die sie lebhaft vor sich sah: Angelina, in verschwenderischer Abendgarderobe, aufblitzende Geschmeide an Hals und Ohren, an ihrer Seite Ralph in einer ordensgeschmückten Galauniform, wie sie einen hell erleuchteten Ballsaal betraten und ein bewunderndes Raunen durch die Menge ging. Angelina, wie sie die säulenumstandene Veranda eines großen Hauses entlangschritt und den einheimischen Dienstboten mit herrischer Stimme Anweisungen erteilte, die sich eilfertig bemühten, ihrer memsahib jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Wie sie den eleganten Damen der Gesellschaft voller Stolz ihren geschmackvoll eingerichteten Salon präsentierte und deren begeisterte Ausrufe wie neidische Blicke genoss. Sie träumte von einer eigenen gediegenen Clarence-Kutsche oder einem schnittigen Phaeton mit dazugehörigen edlen Rössern; von Pelzen und Tafelsilber und Champagner. Fast unhörbar seufzte Angelina immer wieder wohlig auf, wohl wissend, dass sie in einer solchen Stimmung besonders anziehend wirkte – sie hatte es oft genug gesagt bekommen.
Auch Maya schwelgte in Bildern, doch im Gegensatz zu ihrer Schwester saugte sie jedes von Ralphs und Jonathans Worten gierig in sich auf. Sie sah sich in einem flachen Kahn sitzen, der durch das Labyrinth von Wasserwegen im Gangesdelta glitt, den Sundarbans , den weltgrößten Mangrovensümpfen, in denen sich das Schmelzwasser aus den Bergen nach seinem langen Weg durch die Ebenen Bengalens endlich ins Meer ergoss. Der mitgespülte, fruchtbare Schlamm hatte sich zu kleinen Inseln gesammelt, deren Ufer unter einem Dickicht aus Wurzeln und Wasserpflanzen verborgen waren. Mal war die Wasserfläche klarblau und in seinen Ausmaßen breit wie ein See, mal brackig und so schmal, dass sich die Äste der Mangroven zu einem Laubdach darüber verflochten, in dem Makaken keckernd umhersprangen. Tagsüber hüpften Wasserhühner mit purpurnem oder indigoblauem Gefieder über Lotusblätter, so sorglos, dass sie für die felsgleichen Krokodile, die ihnen träge auflauerten, leichte Beute waren. In den stickigen, schwülen Nächten glomm die Finsternis von den Lichtpunkten der Glühwürmchen. Hinter Palisaden duckten sich furchtsam die Hütten der Fischer vor den Beutezügen der Königstiger, von denen nie etwas zu sehen war außer den Abdrücken ihrer Tatzen im Schlick und für die die Bambusstöcke mit einem daran gebundenen belaubten Zweig standen, die an den Menschen erinnern sollten, der das Opfer ihrer Klauen und Reißzähne geworden war. Und umso spürbarer war der drückende, bedrohliche Schatten, den die unsichtbare Anwesenheit der Raubkatzen über diese Wildnis legte, die vergessen worden zu sein schien, als am dritten Schöpfungstag Land und Wasser voneinander getrennt worden waren.
Maya lauschte gebannt Ralphs Schilderungen vom Punjab, dem »Land der fünf Flüsse«, dessen Flussebene so fruchtbar war, dass der Wind durch Reis- und Getreidefelder strich, der im Norden von den Ausläufern des Himalaya und im Westen von den zerklüfteten Hängen des Salzgebirges begrenzt wurde, während sich im Süden die Dornensavannen und das Sandmeer der Wüste Thar ausbreiteten.
Vor Mayas innerem Auge erstand Lahore. Einst Sitz der Moguln, hatten die Briten die Stadt den Sikhs im letzten Krieg abgerungen, residierten nun als Herrscher über den Punjab in der beeindruckenden Festung hinter dem monumentalen Alamgiri-Tor, das all die Herrlichkeiten eines Mogulhofs sowie den »Shish Mahal«, den Spiegelpalast, bewachte; ein Raum, dessen Wände und Deckengewölbe gänzlich mit einem Mosaik aus farbigen Spiegelsplittern bedeckt waren. Von Menschenhand geschaffene Kanäle bewässerten die großzügigen Terrassenanlagen mit Fontänen und Kaskaden, die Lahore den Beinamen »Stadt der Gärten« gegeben hatten, von denen der größte und vollkommenste der des Shalimar war, als Zwilling des gleichnamigen Gartens in Kaschmir von Mogul Shah Jahan erbaut, dem die Welt auch das Wunder des Taj Mahal verdankte. Einstige Herrscher über das Mogulreich hatten in Lahore ihre letzte Ruhestätte gefunden, wie Jahangir in einem minarettgeschmückten Mausoleum und seine Gattin Nur Jahan in einem nicht minder prächtigen Bauwerk.
Mit Jonathan wanderte Maya durch Kalkutta, die
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