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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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das Blumenmuster der Tasse gerichtet, »ich weiß, es mag Sie überraschen – wir kennen uns ja kaum … und dennoch würde ich morgen gerne mit der Gewissheit aufbrechen, dass …« Er verstummte für einen Moment, wandte sich dann halb ihr zu und sah sie fest an, als er leise fragte: »Darf ich hoffen?«
    Maya betrachtete ihn im Widerschein der Flammen und der Lampen. Ralphs Farben waren die der Gegend, aus der er gekommen war, die der Felsen und Geröllhalden des Hindukusch und seiner Pässe, die von Sand und Staub der hitzegeplagten Hochebenen des Punjab. Der geriffelte Serge seiner Uniform schien den Geruch nach Stein, trockenem Boden und Sonnenglut tief in sich aufgesogen zu haben. Ralph Garrett strahlte eine solch innere Wärme, eine Leichtigkeit aus, dass es Maya unmöglich vorkam, jemals neben ihm zu frieren oder unglücklich zu sein, und es kostete sie all ihre Überwindung, sich nicht gegen seine Schulter sinken zu lassen und sich einfach aufgehoben zu fühlen. Und just in dem Moment, als sich Jonathans betont laute Schritte und Stimme der Türschwelle zum Salon näherten, nickte sie.

    Darf ich hoffen … Drei Worte nur, und doch trugen sie Maya durch die kalten Tage dieses Winters, die so grau geworden waren, seit die Lichterpracht von Weihnachten und Neujahr erloschen war. Der Januar mit seinem dicken, wattigen Gewand aus Schnee hatte noch einen gewissen Zauber besessen, einen Abglanz von Tannengrün und Satinbändern, Glaskugeln und vergoldeten Nüssen, von Familienfesten und buntem Einwickelpapier. Doch der Februar brachte Nebel, Nieselregen und Graupel mit sich, eine feuchte Kälte, die durch Mark und Bein drang und einen schon beim Blick aus dem Fenster schaudern ließ. Allein die Vorstellung von Frühlingsgrün und Sonnenwärme fiel Maya unsagbar schwer.
    Sie saß auf der breiten Fensterbank ihres Zimmers, ein aufgeschlagenes Buch auf den angezogenen Knien, doch sie konnte sich nicht auf die Zeilen konzentrieren. Die Schläfe gegen die Fensterscheibe gelehnt, starrte sie in den Garten hinunter, auf nackte Baumskelette, schlammigen Boden, schmutzige Schneereste. Selbst die Grasinseln und immergrünen Gewächse wirkten leblos, wie aus Metall gefertigt.
    Kein Tag war in all den Wochen vergangen, an dem Maya sich nicht jeden Moment mit Ralph lebhaft in Erinnerung gerufen hatte. Seine Blicke während jenes Dinners, ihr Spaziergang durch Oxford, die Stunden bei »Boffin’s«, später der Nachmittag im Salon, seine Nähe – so wohltuend, so anziehend –, als sie nebeneinander auf der Fußbank vor dem Kamin gesessen hatten. Unvergessen waren auch der Kloß in ihrer Kehle am nächsten Morgen beim Frühstück, als die Uhr auf dem Kaminsims unerbittlich die letzten Stunden von Ralphs Aufenthalt in Black Hall wegzählte, und die Wärme seiner Handfläche um ihre kalten Finger, als er sich verabschiedete. Und kaum war die Droschke, die Ralph in Jonathans Begleitung zum Bahnhof bringen sollte, die St. Giles Street hinabgerollt, kaum hatte sich die Haustür geschlossen, hinter der Gerald sich zu seinen Papieren ins Arbeitszimmer zurückzog, hatte Martha sich mit Rose zusammengesetzt, um den Menueplan für die Feiertage zu besprechen, als sich Angelinas schlanke Finger in Mayas Oberarm krallten. »Glaub bloß nicht«, hatte sie ihrer älteren Schwester ins Ohr gezischt, »dass ich dir kampflos das Feld überlasse, du Schlange! Du hast ihm ja nur deshalb so schöne Augen gemacht, weil ich ihn haben will! Aber er wird uns wieder besuchen, und dann wirst du schon sehen, dass dir dein Bücherwissen und dein geheucheltes Interesse nichts nützen werden. Du wirst für ihn nicht mehr sein als ein Abenteuer, das dich ruiniert. Denn ein Gentleman wie Ralph Garrett wird nie einen Blaustrumpf wie dich heiraten!« Zornig und zutiefst verletzt hatte Maya sich losgerissen und war wortlos davongestürmt.
    Auf ihrem Fensterplatz seufzte Maya nun tief auf und breitete auf ihrer gespreizten Hand das Ende des Schals aus, den Jonathan aus Indien mitgebracht und ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Glücklich streichelte sie den weichen Stoff mit seinem Muster aus Ranken und Blütenzweigen in satten Braun- und Grüntönen und dazwischen eingewebten Goldfäden. Sie hatte Jonathan dafür ausgescholten, ihr von seinem Sold ein so teures Geschenk zu machen. Doch er hatte nur lachend abgewunken, und jedes Mal, wenn Maya sich nun den Schal umlegte, war es wie eine herzliche Umarmung ihres Bruders. Sie kuschelte sich tiefer hinein und

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