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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Geschäftsräume beherbergten. »Isaac West – Apotheke & Drogerie« war über den blitzblank polierten Scheiben zu lesen, und das Metallschild über der benachbarten Tür verkündete: »Th. Sear – Schuhmacher«. Jonathan zeigte auf einen Laden weiter die Straße hinunter, der »Israel M. Levi – Uhrmacher und Zigarrenhändler« überschrieben war. »Und dort kauft Vater immer seine Zigarren.«
    »Und was ist das?« Ralph zeigte auf ein kastenförmiges Gebäude noch ein Stückchen weiter unten, mit vier imposanten Säulen an der Front, hohen Fenstern und in Stein gemeißelten Wandfriesen.
    »Das ist das Taylorian«, erwiderte Maya. »Das Institut für moderne Sprachen wie Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch.«
    »Ich muss schon sagen – so viel Bildung auf einem Fleck ist doch recht einschüchternd«, murmelte Ralph.
    »Weshalb?«
    Maya sah ihn neugierig an, und Ralph entgegnete mit einem Achselzucken: »Nun, ich war zwar in Eton, aber als Schüler eher immer mittelmäßig. Und mit achtzehn bin ich dann sofort mit dem Patent eines Lieutenants nach Indien gegangen. Das meiste, was ich an Sprachen kann, an Wissen habe, habe ich in der Armee gelernt. Ich halte mich eher für einen Macher denn für einen Denker.« Maya betrachtete ihre behandschuhten Finger, die sie vor ihrem Schoß verschränkt hielt.
    »Ich denke, es gibt mehr als nur eine Art von Bildung und keinesfalls eine, die allen anderen überlegen ist. Doch selbst die beste, die tiefgreifendste Bildung scheint mir letzten Endes wertlos, wenn man so rein gar nichts damit anfangen kann.« Mit einem bitteren Zug um den Mund starrte sie die Straße hinunter. »Mein Vater hat mich unterrichtet, und ein … ein Freund unserer Familie.« Der Gedanke an Richard streifte sie wie eine schwarzglänzende Vogelschwinge. »Vieles habe ich mir auch selbst angelesen. Doch was nützt es mir?« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem ironischen Lächeln, als sie Ralph ansah. »Ich könnte schlauer sein als alle Studenten eines Jahrgangs zusammen und mehr wissen als sie – die Universität würde mich trotzdem nicht aufnehmen, weil ich kein Mann bin. Und an das Bedford College nach London, das einzige College für Frauen, lassen mich meine Eltern nicht. Meine Mutter nicht, weil sie sich um meinen Ruf sorgt: Sie fürchtet, dass dann meine Chancen auf eine akzeptable Heirat endgültig dahin wären. Mein Vater nicht, weil er den dortigen Lehrplan für ›niveaulos‹ hält.« Sie zog ihre Augenbrauen hoch und seufzte tief auf. »Ist vielleicht aber auch nicht so tragisch – viel könnte ich mit dem Abschluss ohnehin nicht anfangen.«
    »Was würden Sie denn gerne damit anfangen wollen – wenn Sie könnten?« Maya blieb abrupt stehen und sah Ralph verdutzt an. Niemand, in ihrem ganzen Leben, hatte ihr je diese Frage gestellt, außer sie sich selbst. »Nun?«, ermunterte er sie lächelnd zu einer Antwort. Maya blies die Wangen auf, atmete laut aus, hob hilflos die Schultern und blieb stumm. »In einer idealen Welt, einer Welt ohne Beschränkungen?«, bohrte er nach.
    »In einer idealen Welt«, wiederholte Maya, und ihre Augen bekamen einen träumerischen Glanz. »Etwas mit Sprachen vielleicht, mit Büchern. Ich würde gerne reisen … in den Orient, nach Indien.« Sehnsucht schnitt mit glatter Klinge durch sie hindurch, und sie hätte nicht zu sagen gewusst, ob es die Sehnsucht nach Richard oder nach der Ferne war. »Ich möchte etwas erleben. Etwas Abenteuerliches …« Sie unterbrach sich selbst mit einem verlegenen Lachen und schüttelte den Kopf. »Ich weiß, das muss sich jetzt völlig albern anhören!«
    »Nein, ganz und gar nicht«, widersprach Ralph. »Ganz und gar nicht«, sagte er noch einmal, leiser, und sah sie lange an. »Ich glaube nicht, dass Ihre Bildung umsonst war. Schließlich hat sie Sie doch zu dem gemacht, was Sie heute sind.«
    Es war nicht so sehr, was er da sagte, sondern vielmehr, wie er es tat; die Art, wie seine Stimme dabei vibrierte, ließ Maya seinen Blick eindringlich erwidern. Es entstand ein kurzer Moment, in dem nichts mehr zu existieren schien außer ihr und Ralph – ein Moment, in dem sie glaubte, von einem mächtigen Strom mitgerissen und fortgespült zu werden, ohne dabei Angst zu empfinden, sondern vielmehr den Wunsch, die Augen zu schließen und sich einfach darin treiben zu lassen. Das Wunderbare dieses Augenblicks zerstob, als Angelina und Jonathan, die etwas zurückgefallen waren, wieder zu ihnen aufschlossen.
    »Das dort

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