Unter dem Safranmond
etwas Kühlung verschafft hätte. Selbst der Fahrtwind des »P&O«-Dampfers schien sich noch im Augenblick seines Aufkommens in der heißen, stehenden Luft zu verflüchtigen. Dieser Tag im Mai war einer jener Tage, für den die Tropen so berüchtigt waren: regungslos, stumm, erdrückend. Nichts war zu hören, außer dem Zischen des Meeres, als der Kiel durch sein Türkisblau pflügte, und dem gleichmäßigen Dröhnen der Dampfmaschine. Zu beiden Seiten erstreckte sich Land, öde und felsig, über dem die heiße Luft flirrte. Eine Schar fliegender Fische schwirrte über die seidige Oberfläche des Wassers, setzte ein paar Mal klatschend auf, ehe sie einer nach dem anderen darunter wieder verschwanden.
Maya trat zu Ralph an die Reling, schob ihren Arm unter den seinen und schmiegte die Wange an seine Schulter. Lange sah sie ihn an, ihren Blick unter dem schmalen Rand ihres Strohhutes vor ihm verborgen, bemüht, in seinem Gesicht zu lesen, das er starr und unbeweglich auf den Küstenstreifen gerichtet hielt. Er war jetzt oft in einer solchen Stimmung: stumm vor sich hin brütend, einen bitteren Zug um die Lippen, und Maya wusste, welche Gedanken ihn beschäftigten.
Sein Vorsprechen in der nächsthöheren Dienststelle hatte nichts genutzt. Weder seine Bitte um Nachsicht noch seine Versicherung, es werde keinen weiteren Verstoß gegen die Disziplinarvorschriften geben, hatten daran etwas ändern können. Und auch sein bislang so makelloser Lebenslauf, seine früheren lobenden Empfehlungsschreiben aus Bengalen und Rawalpindi hatten kein Gewicht gehabt. In London war man hart geblieben und stimmte mit dem Colonel der Rifle Brigade überein, der nach Erhalt von Ralphs Schreiben aus Gretna Green, ohne lange zu zögern, seine Entscheidung gefällt hatte: Lieutenant Ralph William Chisholm Garrett hatte es versäumt, rechtzeitig vor seiner Eheschließung die Erlaubnis seines Vorgesetzten im neuen Regiment einzuholen, und eine solche Zuwiderhandlung gegen die Gepflogenheiten der Armee musste geahndet werden, auch wenn es sich nur um eine verhältnismäßig belanglose Formsache handeln mochte. Gerade jetzt, in Kriegszeiten, war es unverzeihlich, wenn ein Soldat seinen Gefühlen den Vorzug gab, anstatt den Bestimmungen Folge zu leisten. Noch dazu, wenn es sich dabei um einen Neuzugang handelte, der sich erst noch in die bestehende Formation eines Regiments einzugliedern hatte. Hier konnte man so kurz vor dem Feldzug gegen die Russen unmöglich Milde walten lassen!
Ein einziger Federstrich tilgte Ralph Garrett von der Namensliste des Regiments, ließ so den Traum von der Rifle Brigade und glorreichen Schlachten im Krieg zerplatzen, noch ehe er seinen Dienst in der Kaserne von Walmer angetreten hatte. Auch eine Rückkehr in das Corps of Guides war ihm verwehrt worden. Sein ohnehin begehrter Posten dort sei schon neu besetzt, und schließlich müsse man ein Exempel statuieren. Spräche sich herum, dass man dem Lieutenant dies hatte durchgehen lassen, kämen womöglich in der Folge weitere Soldaten auf die Idee, ohne lästige Formalitäten ihre Liebchen noch rasch zu heiraten, ehe sie einrücken mussten! Was käme dann als Nächstes: Verpassen des Fahnenappells, Feigheit vor dem Feind, Fahnenflucht?
Deshalb erhielt Lieutenant Ralph Garrett den Befehl, sich »unverzüglich und ohne Umwege« in die britische Niederlassung im Hafen von Aden zu begeben, wo er »künftig und bis auf Weiteres«in der dortigen Garnison seinen Dienst zu versehen hätte. Aden, das seit knapp zwanzig Jahren ein winziger Außenposten des Britischen Empire war, galt als eine Art Strafkolonie für britische Soldaten. Ein östliches Gibraltar, unmittelbar vor den Toren des gigantischen Osmanischen Reiches gelegen, nur durch eine Meerenge von Afrika getrennt und im Hinterland von miteinander mal befreundeten, mal befeindeten Sultanaten belagert. Eine Verzögerung seiner Abreise würde als Gehorsamsverweigerung gewertet werden und ihm eine Vorladung vor das Kriegsgericht bescheren, das hatte man Ralph sehr deutlich zu verstehen gegeben. Somit hatte keine Möglichkeit mehr bestanden, noch nach Gloucestershire zu reisen oder auch nur nach Kent, um sich von Jonathan zu verabschieden.
»Es ist doch nur vorübergehend«, flüsterte Maya und strich in dem Versuch, ihn zu trösten, wie schon unzählige Male zuvor über seinen Oberarm.
»Das hoffe ich«, entgegnete Ralph. Doch seiner Stimme fehlte jegliche Überzeugungskraft.
»So schlimm wird es schon nicht werden«,
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