Unter dem Safranmond
gab sie sich zuversichtlich. »Wir haben ja uns!«
Ralph sah sie an, und die Andeutung eines Lächelns flog über sein Gesicht, als er ihre Hand nahm und sie drückte. »Ja, du hast recht. – Schau, das ist das Bab el-Mandeb«, rief er aus und wies auf die nackte Landzunge mit einer vorgelagerten Insel, die sich ins Meer erstreckte. An der Stelle, an der sich die afrikanische und die arabische Küste eng aneinanderschoben, an der sich das Wasser plötzlich unruhig und aufgewirbelt gab. Bab el-Mandeb – das Tor der Tränen , übersetzte Maya aus ihrem arabischen Wortschatz, und trotz der Hitze an Deck überlief sie ein kalter Schauder.
Maya hatte nicht lange gebraucht, um zu einer Entscheidung zu gelangen, ob sie Ralph nach Aden folgen wollte. Kleinmütig und gesenkten Hauptes wieder an die Tür von Black Hall zu klopfen stand genauso außer Frage, wie als unbekannte Ehefrau des Sohnes auf der Schwelle von Montpellier House aufzutauchen. Ihr Platz war an Ralphs Seite, und wenn es schon nicht Indien sein sollte, so schien ihr Arabien weitaus mehr als nur ein enttäuschender Ersatz und auf alle Fälle besser als ein Feldlager auf dem Balkan.
Staunend hatte Maya an Deck unter dem schwarzblauen Nachthimmel des Mittelmeeres gestanden, der am Horizont in das tintige Meer eintauchte, und die Sterne betrachtet, die in einer Helligkeit funkelten, wie Maya sie von englischem Boden aus noch nie gesehen hatte, auch nicht in den Seebädern von Brighton oder Torquay, wo die Familie Greenwood manch einen Sommer verbracht hatte.
Zu gerne hätte Maya ihre Reise unterbrochen, um von Bord zu gehen und die Ewige Stadt Rom zu besichtigen, Florenz in seinen Farbtönen von Ocker, Terrakotta und Olivgrün, Siena und Perugia, das quirlige Neapel; vielleicht auch noch Ischia, die Felsinsel unter der alten Festung des Castello Aragonese: grün von Zitronenhainen, Feigen- und Granatapfelbäumen; Salerno mit den malerischen Ruinen eines mittelalterlichen Schlosses und Capri mit dem Wunder seiner Blauen Grotte – Orte und Ansichten, die sie nur aus den Kindheitserzählungen Richards kannte, aus den schwelgerischen Erinnerungen ihres Vaters und von den colorierten Stichen in seinem Arbeitszimmer. Wie die aus Griechenland, wo jedem Stein noch etwas von der mythischen Götterwelt des Olymp anzuhaften schien. Jetzt, da ihre Mutter nicht mehr das Sagen hatte, hätte sie das alles gerne gesehen. Martha Greenwood waren Reisen grundsätzlich ein Graus gewesen. Viel zu groß war ihre Angst, besonders die zarte Angelina könnte Hitze nicht vertragen und sich in einem fremden Land eine schwere Krankheit einfangen. Wozu in die Ferne schweifen, wenn es auch in England Seebäder mit mildem, sonnigem Klima gab, die der Gesundheit zuträglich waren? Obwohl es Gerald gereizt hätte, mit seinen Kindern auf den Spuren seiner Studienreisen zu wandeln – er hielt eine solche Form der Bildung für äußerst nützlich und fruchtbar –, hatte er sich Marthas diesbezüglichen Wünschen gefügt. Wie er es meist tat, wenn es um die Fürsorge und Erziehung der Kinder ging, die er bei ihr in guten Händen wusste und die ohnehin nicht seine Domäne war. Und so war es eben bei Torquay und Brighton geblieben.
Umso mehr genoss Maya diese Reise, wenn auch nur vom Deck des Dampfers aus. Viel zu schnell erreichten sie Alexandria, »die Perle des Mittelmeeres«, und viel zu schnell verließen sie es auch wieder, sodass es bei ein paar oberflächlichen Impressionen blieb: gelb gestrichene Häuser, schlechte Imitationen europäischer Bauweisen, aber auch zauberhafte orientalische Kaffeehäuser, vor denen Tamarisken ihre zerknitterten silbergrünen Zweige willkürlich in alle Himmelsrichtungen ausbreiteten. Palmen, wo man auch hinsah, und Prozessionen von Kamelen, die in ihrem gemächlichen Trott die Straßen blockierten und nur halbherzig von ihren weiß gewandeten Treibern mit dem charakteristischen roten Fes zum Weitermarschieren angetrieben wurden. Mit der Eisenbahn war es ein kurzes Stück weiter zum Nilufer gegangen, wo ein Dampfschiff auf sie gewartet hatte. In einer so flachen Ebene, dass man sich auf einem stillen, endlosen Ozean hätte glauben können, wäre da nicht der fransige Saum von Palmen und Tamarisken gewesen, der sich gegen den Abendhimmel abzeichnete, war das Schiff über den breiten ruhigen Fluss geglitten. Die Szenerie hatte etwas Trauriges für Maya gehabt und war in ihrer Grandiosität doch überwältigend: der Nil, Ägypten, die Wiege einer uralten,
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