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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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majestätischen Kultur, so alt und majestätisch wie die Pyramiden jenseits des Flusses. Cairo, »die Triumphierende«, voll von lärmendem Leben, kühl im Schatten der Gebäude und der Gärten, ein Glutofen auf den Straßen und Plätzen unter den Kuppeln und Minaretten. Prächtig und verfallen zugleich, ein Spiegelbild der Religionen, Völker und Dynastien, die hier im Laufe der Jahrhunderte gelebt und gebaut hatten, atmete die Stadt Freiheit, wie es nur eine Stadt vermag, die ein Schmelztiegel von Kulturen ist, christlich-europäisch, moslemisch, afrikanisch. Aus dieser Stadt hat mir Richard geschrieben , ging es Maya durch den Kopf.
    Ein nubischer Kutscher in bunter Uniform, halb Husar, halb Orientale, hatte sie in einem Pferdewagen aus der Stadt gebracht, hinein in eine dürre Landschaft aus Schluchten, Felsen, Sand und einzelnen englisch beflaggten Posten in Gestalt würfelförmiger Häuser, deren Zweck in dieser Einöde ohne Wasser unklar blieb. In der Ferne zeichneten sich steinige Linien ab, die sich bald als Bergkette zu erkennen gaben, und beidseits des Weges bleichten die Überreste von Kamelskeletten aus. Als diese seltener wurden, eine niedrige Mauer in Sicht kam, flankiert von zwei Türmen, waren sie in Suez angekommen, wo der Dampfer wartete, der mit Maya und Ralph an Bord Kurs auf das Rote Meer nahm.
    Maya stand noch immer unter dem Bann der Eindrücke, die sie auf ihrer bisherigen Reise gesammelt hatte. So flüchtig sie diese auch in der zügigen Weiterfahrt aufgelesen hatte, Bilder, Szenen, Farben, Gerüche und Geräusche, so nachhaltig wirkten sie noch in ihr. Wie ein berauschender Trank, von dem sie nur wenige Tropfen gekostet und der sie doch süchtig nach mehr zurückgelassen hatte. Und so fieberte sie ihrer Ankunft in Aden entgegen – Aden, das für sie nach »Eden« klang, hinter dem die ganze fremde Herrlichkeit Arabiens auf sie warten würde.
    Doch als wenige Stunden später die Halbinsel in Sicht kam, war Maya geschockt: gezackte Umrisse, zerbrochene und zerrissene Felsgrate dunkelgrauen bis nahezu schwarzen Gesteins. Als hätte vor Urzeiten eine gewaltige Explosion ein verkohltes Bruchstück genau hier ins Wasser geschleudert, das anschließend in Vergessenheit geraten war. Nicht einmal das anspruchloseste Gewächs hatte darin Wurzeln zu schlagen vermocht. Undenkbar, dass dort wahrhaftig Menschen leben konnten. So in etwa hatte Maya sich immer die Insel des Château d’If vorgestellt, die Festung, in deren Kerker Edmond Dantès, Der Graf von Monte Christo , vierzehn lange Jahre unschuldig inhaftiert gewesen war.
    »Ist es das?«, fragte Maya tonlos.
    »Ja, das ist unser neues Zuhause«, bestätigte Ralph mit sarkastischem Unterton und drückte sie an sich.
    Der Dampfer schipperte in eine Bucht, die einer Wüste glich, umgeben von verlassenen Felsen, und warf den Anker aus. Kleinere dampfbetriebene Kähne unter großen Sonnensegeln setzten vom Ufer her über, in deren Kielwasser winzige, hölzerne Ruderboote schaukelten. Noch ehe die kleine Flotte den Dampfer der P&O-Company erreicht hatte, hörte man großes Geschrei. Die meisten der Ruderboote wurden von Somalijungen gelenkt, halbnackt, tiefschwarz und dünn, die mit gellenden Rufen ihre Waren anpriesen und sie in Richtung Reling hochhielten: Leopardenfelle, Antilopenhörner und Straußenfedern, Kostbarkeiten von der nahen Küste Afrikas. In drei oder vier der anderen Boote saßen mit ernsthaften bis gelangweilten Mienen Inder und Singhalesen, die bestickte Stoffe und Tischtücher ausgebreitet hatten, denen es aber zu heiß schien, um ausgiebig Werbung dafür zu machen. Einige der Passagiere, die an der Reling standen, machten sich einen Spaß daraus, Pennys ins Wasser zu werfen und zuzusehen, wie die Jungen kopfüber ins Nass sprangen und das Wasser in tanzenden Kreisen brach, wenn ihre Leiber in der Tiefe verschwanden. Wie Fische wanden sich ihre Schatten unter der Oberfläche, während sie nach dem langsam herabsinkenden Geld haschten, ehe sie prustend und mit stolzem Grinsen wieder auftauchten, die Münze sicher in ihrer Faust. Wer – aus welchen Gründen auch immer – an Land zu gehen gedachte, reichte sein Gepäck der Besatzung eines der Dampfkähne und kletterte vom Schiff aus hinein, um in den Hafen überzusetzen, so auch Maya und Ralph.
    Stufen führten zu einem Anlegeplatz unter einem Eisendach, und Maya schluckte angesichts der Verlassenheit und Trostlosigkeit, die sich vor ihr ausbreitete: schwärzlicher, abweisender Stein

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