Unter dem Safranmond
und Brennholz geschlagen hatte. Bevor Feldschanzen, der anfallende Unrat eines Heerlagers, Massengräber und Granattrichter seine Oberfläche entstellt hatten. Doch die Natur, unbeeindruckt von des Menschen Tun, hatte den Frühling im ewigen Lauf der Jahreszeiten gewittert und die nackten Felder mit Krokussen, Tulpen und Hyazinthen bemalt. Verstörend schöne Farbtupfer der Lebendigkeit inmitten dieser Trostlosigkeit, die Jonathan mit den Tränen hatten kämpfen lassen, weil sie etwas in ihm in Schwingung versetzt hatten, das er längst tot geglaubt hatte, schien er doch abgestumpft durch das Leid, das zu einem festen Bestandteil seines Alltags geworden war – als seien Dantes Visionen von Hölle und Fegefeuer Wirklichkeit geworden. Mit den bloßen Händen hatte er sorgsam die Knollen eines dottergelben Krokus und einer noch geschlossenen Hyazinthe ausgegraben und sie mit in das Ärztezelt genommen, dort in eine Blechbüchse mit Sand und Steinen gepflanzt und angegossen. Die ersten Hyazinthenknospen waren heute aufgebrochen, himmelblaue Sterne, wie Amys Augen, verbreiteten einen betörend süßen Duft, der nach Hoffnung roch – nach der Hoffnung auf ein Leben nach dem Krieg. Eine Hoffnung wie ein dünner, fauliger Strohhalm, denn vor zwei Tagen war das Wetter wieder umgeschlagen, hatte die Höhen um Sebastopol erneut in Eis und Schnee gekleidet, war ein so dichtes Schneegestöber über sie hereingebrochen, dass man das benachbarte Zelt in drei Yards Entfernung nicht mehr erkennen konnte und die Schneedecke um die Zelte herum heute drei Fuß hoch war.
Das Feuer des einfachen Ofens im Ärztezelt brannte Tag und Nacht, ließ Jonathans Wangen unter dem struppigen, rötlichen Vollbart, den er sich hatte stehen lassen, glühen. Doch trotz der Jacke mit Futter aus Kaninchenfell fror er ansonsten unaufhörlich. Dabei gehörten die Ärztezelte noch zu den besseren Unterkünften: Die Feldbetten hatten wasserdichte Laken, ein umgedrehter Kartoffelkorb wurde als Hocker genutzt, und der Erdwall um den Zeltpfosten in der Mitte, auf dem ein Handtuch lag, diente ebenfalls als Sitzgelegenheit. Ein liegendes Fass war zum Kleiderschrank umfunktioniert worden und eine Lattenkiste zur Kommode. Ferner gab es den Luxus zweier Klappstühle und eines Klapptisches, an dem Jonathan nun saß.
Mayas jüngster Brief irritierte ihn auch nach dem dritten Durchlesen noch. Beschwingt wie immer, klang in den heiteren Zeilen ein neuer Unterton ermatteter Resignation und gleichzeitig kratziger Überspanntheit mit, der ihm an seiner Schwester fremd war. Etwas schien nicht in Ordnung zu sein mit seiner Lieblingsschwester in Aden, und Jonathan sorgte sich, wollte er doch nichts mehr, als Maya glücklich zu wissen. So brütete er darüber, was vorgefallen sein konnte. Wahrscheinlich hatte sie nicht die geringste Ahnung, dass ein solcher Tonfall darin lag und Jonathan dieser aufgefallen war, was es für ihn zusätzlich schwer machte, eine Antwort zu verfassen. Wusste er doch, wie halsstarrig Maya sein konnte, wenn man sie auf etwas ansprach, das ihr unangenehm war. Er schwankte noch, ob er zuerst Amy schreiben sollte, entschied sich dann aber für den Brief an Maya. Mit den Fingerspitzen fuhr er zärtlich über die Photographien, die vor ihm auf dem Tisch lagen, wie immer, wenn er seinen Lieben schrieb – die seiner Familie, die ihn seit seiner Abreise nach Indien damals begleitete, und diejenige Amys, die sie ihm zu Weihnachten geschickt hatte. Er bog und spreizte noch einmal seine steifen Finger, ehe er zur Feder griff, ihre Spitze in das Tintenfass tunkte und zu schreiben begann.
Sebastopol, den 22. Februar 1855
Mein liebes Schwesterherz,
es scheint, als sei das Schlimmste hier vorüber, obwohl der Winter einfach nicht weichen will. Die Zahl der Krankheitsfälle nimmt täglich ab; wir haben Brennstoff, und auch wenn unsere Kost kaum mehr bietet als eingemachte Karotten und Erbsen oder altes Brot mit Marmelade, leiden wir keinen Hunger. Dafür gibt es Kaffee im Überfluss, mit einem guten Schuss Brandy – und das hält unsere Lebensgeister doch enorm auf Trab! Wir hatten schon ein paar Tage Frühling hier, Du wirs–––––
Verblüfft starrte Jonathan den Tintenstrich an, der sich über das halbe Blatt zog und den seine Hand ohne sein Zutun gemacht hatte, vom heftigen Druck der Feder tief in die Oberfläche des Papiers gegraben. Doch er hatte keine Zeit mehr, sich weiter darüber zu wundern, denn sogleich flog die Feder in hohem Bogen durch
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