Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
Vom Netzwerk:
das Zelt, als ein Krampf seinen Arm durchschüttelte, er unter einem unerträglichen, scharfen Schmerzgewitter in der Körpermitte einknickte. Muskelzuckungen schleuderten ihn aus dem Stuhl und mit einem dumpfen Schlag auf den Boden des Zeltes. Er rang nach Atem, glaubte zu ersticken, jeden Muskel einzeln aus seinem Körper gerissen zu bekommen. Maya , blitzte es in seinem schmerzdurchfluteten Gehirn auf, ich muss dir doch noch erzählen, dass ich Schneeglöckchen gesehen habe … Amy auch … Amy … Dann verlor er das Bewusstsein, als sein Leib sich wand und krümmte, er zugleich alles erbrach und ausschied, was er im Magen hatte und sein Körper an Flüssigkeit besaß.

    Mayas Augen strahlten, als sie den gut drei Wochen alten Feldpostbrief in der Hand hielt, flackerten, als sie eine andere Handschrift als die ihres Bruders darauf sah, verglommen, als sie ihn in angstvoller Ahnung aufriss und mit zitternden Fingern entfaltete.
    Verehrte Mrs. Garrett,
    aus der persönlichen Korrespondenz Ihres Bruders liegt uns Ihre Anschrift vor. Daher sehen wir es als unsere Aufgabe an, Ihnen mit großem Bedauern mitteilen zu müssen, dass Assistenzarzt Jonathan Alan Greenwood, geb. 17. Juni 1826, in der Ausübung seiner Pflicht für Krone und Vaterland sein Leben gelassen hat … verstarb am 23. Februar diesen Jahres … Cholera … Seine sterblichen Überreste … der russischen Erde übergeben … Unser aufrichtigstes Beileid.
    gez. Brigadier-General George Buller,
    Rifle Brigade, Sebastopol
    Die Zeilen tanzten vor ihren Augen, verschwammen stellenweise, wo ihre Tränen darauf tropften und die Tinte verschmierten. Sie tat ein paar unbeholfene, wackelige Schritte, ziellos, hilflos, sackte dann mit einem Klagelaut zusammen, während der Bungalow um sie kreiste. Und Maya weinte, wie sie nicht geglaubt hätte, jemals weinen zu können.
    So fand Ralph sie am Abend, auf dem Boden kauernd, ein zerknülltes Stück Papier vor die Brust gepresst. Aus roten, dick geschwollenen Augen blickte sie ihn an, doch es war, als sähe sie ihn nicht wirklich.
    »Er ist tot«, flüsterte sie, heiser geweint. »Jonathan. Er ist tot.« Mit bebender Hand reichte sie die Nachricht zu ihm empor, gleichzeitig eine flehentliche Geste, ihr in ihrem Schmerz beizustehen. Ralph schluckte. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, als er nach einem Stuhl tastete, ihn zu sich zog und sich langsam darauf niederließ, offenbar der greifbaren Welt der Gegenstände nicht mehr trauend. Notdürftig glättete er das Blatt mit fahrigen Bewegungen, starrte lange stumm auf die dürren Zeilen. Sehr lange.
    Seine freie Hand rieb über Kinn und Wangen, streckte sich dann nach Mayas Schulter aus, verharrte aber in der Luft, und stattdessen reichte er ihr den Brief zurück. »Wenigstens ist er so zum Helden geworden«, meinte er mit brüchiger Stimme und fuhr voller Bitterkeit fort: »Was mir nicht vergönnt war.« Maya sah ihn nur an, und etwas zerbrach in ihr.
    Als sie das Blatt nicht entgegennahm, ließ er es zu Boden flattern, hievte sich kraftlos aus dem Stuhl und wandte sich zur Eingangstür. Er zögerte, schien sich ihr wieder zuwenden zu wollen, setzte dann aber seinen Weg unbeirrt fort. Mayas Augen schlossen sich; sie hörte nur, wie die Tür hinter ihm zuklappte.
    In den Tagen und Wochen, die folgten, fiel Maya in einen Abgrund der Finsternis. Stunden, in denen der Schmerz sie zerriss, in denen Tränenströme aus ihr herausstürzten, bis sie glaubte, für den Rest ihres Lebens leer geweint zu sein, wechselten sich mit Phasen ab, in denen sie apathisch in der Ecke hockte oder an die Decke starrend auf dem Bett lag. Stunden, in denen sie sich ausgehöhlt fühlte, bar jeglicher inneren Regung, weil sich alles in ihr abgestorben anfühlte. Es schien unmöglich, dass es Jonathan nicht mehr gab, ihren Bruder, der immer da gewesen war, solange sie zurückdenken konnte, mit dem sie sich so verwachsen gefühlt hatte, dass sie nun glaubte, mit ihm sei auch ein Teil von ihr gestorben. Jonathan, der ihr immer zur Seite gestanden hatte, trotz aller brüderlichen Neckereien. Und obwohl Ralph sich bemühte, ihr Tee brachte oder etwas Obst, bei ihr saß, bis sie beides unter seinem guten Zureden hinabgewürgt hatte und ihre Hand hielt, bekam Maya in diesem März eine unvergessliche Lektion erteilt: Dass es nämlich Männer gab, die es nicht ertrugen, wenn jemand in ihrer Gegenwart so sehr litt, die weder Halt zu geben noch welchen anzunehmen vermochten, wenn sie selbst

Weitere Kostenlose Bücher