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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Papiere, die ihn letztendlich töteten. Vielleicht waren es die Papiere, die am Ende des Lebens und am Beginn der Erinnerungen standen. Das Leben meines Vaters ist zu Ende, dachte Amber. Jetzt beginnen die Erinnerungen.
    Sie wusste nicht, dass sie laut gesprochen hatte. Doch Ralph sah plötzlich auf. »Die Erinnerungen beginnen mit dem Tag der Geburt und enden nicht mit dem Tod desjenigen, sondern mit dem Tod des Letzten, der sich erinnert.«
    Amber schüttelte den Kopf. Sie war froh, über abstrakte Dinge nachdenken und sich dabei von den realen Dingen erholen zu können.
    »Aber solange du lebst, kannst du die Erinnerungen der anderen beeinflussen. Du selbst hast es zu einem Teil in der Hand, woran sich die anderen erinnern. Wenn du tot bist, gibt es diese Möglichkeit nicht mehr. Du bist nicht der, der du wirklich bist, sondern nur noch der, an den man sich erinnert. Und es ist lange nicht gesagt, dass das eine mit dem anderen übereinstimmt.«
    Die Beerdigung fand drei Tage später statt. Walter Jordan wurde auf dem Friedhof von Tanunda beigesetzt. Es waren an die hundert Leute, die ihm das letzte Geleit geben wollten. Maggie und Jake waren dabei, der alte Lambert, die Hahndorfer und natürlich alle Bewohner von Carolina Cellar.
    Peena weinte, als wäre es ihr Vater, der zu Grabe getragen wurde. Emilia und sie hielten einander fest. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen.
    Ambers Augen blieben trocken. Sie trug einen schwarzen Schleier über dem Gesicht.
    Steve ging neben ihr, doch er stützte sie nicht. Sie liefen nebeneinander wie zwei Menschen, die sich zufällig getroffen hatten, die aber nichts miteinander verband.
    Als der Sarg in die Erde gelassen wurde, fassten sich Emilia, Jonah, Peena, Saleem, Aluunda, Bob und alle anderen, die Walter Jordan nahegestanden hatten, an den Händen. Nur Peena bemerkte, dass niemand Steve in diesen Kreis geholt hatte. Er stand daneben, und in seinem Gesicht war nichts zu lesen. Peena streckte ihm die Hand hin. »Kommen Sie, Master«, sagte sie.
    Steve sah mit Verachtung auf den Kreis und auf die dargereichte Hand. Er sah kurz zu Amber, als warte er darauf, dass sie ihm die Hand hinstreckte. Doch weder seine Tochter noch seine Frau machten entsprechende Anstalten.
    Die Einzige, die ihn im Kreis haben wollte, war Peena. Und sie war gleichzeitig die Einzige, mit der er nichts mehr zu tun haben, mit der er nicht in Verbindung gebracht werden wollte.
    Peena zuckte mit den Schultern und wandte sich ab, ließ Steve einfach am Rande des Kreises stehen.
    Der Sarg war noch nicht unten angekommen, da verließ Steve bereits den Friedhof. Erst im Gasthaus, in das Amber die Freunde und Verwandten zum Leichenschmaus geladen hatte, tauchte er wieder auf.
    Am späten Abend, auf dem Heimweg im Auto, in dem Amber und Steve allein fuhren, sagte er: »Denke nicht, dass du dich jetzt von mir scheiden lassen kannst. Tust du es, so wird dein Sohn erfahren, dass sein Großvater der Mörder seines Vaters war.«
    Amber sah ihn an. Sie sagte nichts, sondern sah ihn nur an. Nach einer ganzen Weile erst fragte sie: »Warum, Steve? Warum willst du uns unbedingt beieinanderhalten? Wir sind beide nicht glücklich.«
    Steve wollte etwas erwidern, doch sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Nein, streite es nicht ab. Auch du bist nicht glücklich. Du warst es vor unserer Ehe nicht, bist es jetzt nicht. Noch sind wir nicht zu alt, um ein neues Leben zu beginnen. Warum also hältst du an uns und unserer Ehe fest?«
    Steve antwortete nicht. Er hielt das Lenkrad mit beiden Händen und fuhr in halsbrecherischem Tempo den Feldweg von Tanunda nach Carolina Cellar hinauf.
    Die Schweinwerfer beleuchteten nur einen Teil des Weges. Amber bekam leise Furcht. Sie hielt sich mit beiden Händen an dem Haltegriff über der Tür fest, doch Steve gab noch mehr Gas. Ein Wallaby tauchte plötzlich im Lichtkegel auf. Steve bremste nicht, er wich nicht aus, er hielt direkt auf das vom Scheinwerfer geblendete Tier zu.
    Im letzten Moment sprang es zur Seite, aber der Landrover musste es doch erwischt haben. Amber hörte das Tier kreischen.
    »Halt an!«, befahl sie. »Du musst das Tier töten, sonst leidet es unsägliche Qualen.«
    Doch Steve fuhr einfach weiter. Er fuhr auch an der Auffahrt zum Gutshaus vorbei, preschte weiter durch die Nacht.
    »Der Weg endet gleich. Kehr um, Steve. Was soll das? Was tust du da?«
    Endlich ließ Steve den Landrover ausrollen. Im Mondlicht sah Amber, dass er stark schwitzte.
    Er

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