Unter dem Teebaum
Stille. Plötzlich hörte sie, wie unter ihr im Arbeitszimmer jemand die Schränke öffnete und offensichtlich nach etwas suchte. Amber wusste, dass es Steve war. Wahrscheinlich hatte er gehofft, dass Amber etwas von seinen Machenschaften übersehen hatte. Doch Amber kannte ihren Mann. Sie hatte sämtliche Ordner in ihr Zimmer gebracht, den Safe ausgeräumt und alle Kontoformulare in ihrem Schreibtisch eingeschlossen. Sie wusste, dass diese Papiere dort nicht lange bleiben konnten, doch fürs Erste waren sie sicher. Morgen würde ein Steuerberater aus Adelaide kommen, der Vater eines Freundes von Jonah. Mit ihm würde sie sämtliche Vorgänge kontrollieren. Dem bisherigen Steuerberater aus Tanunda, mit dem Steve sich gelegentlich im Pub traf, hatte sie alle Vollmachten entzogen.
»Es tut mir leid, Mrs Emslie, aber wie es aussieht, befindet sich Ihr Gut in einer Krise. Erbschaftssteuern, Grundsteuern, Versicherungen und so weiter. Sie kennen das ja. Ihre finanziellen Mittel sind erschöpft. Die Bank wird Ihnen keine weiteren Kredite einräumen können.«
Amber schluckte. Warum hatte sie Steve so viele Jahre lang vertraut? Warum nur hatte sie ihm die Buchführung überlassen? Sie wusste es. Sie hatte schlicht zu wenig Zeit gehabt. Der Haushalt, ihr Vater und der Weinkeller hatten sie in vollem Umfang in Anspruch genommen. Jetzt bekam sie die Quittung dafür.
»Wann sind die nächsten Kreditraten fällig?«, fragte Amber.
»Am Monatsende müssen Raten und Steuern gezahlt werden. Außerdem erwartet die Bank die erste Kreditrate für die neu hinzugekauften Weinberge zurück. Insgesamt müssen fünfzigtausend Dollar gezahlt werden.«
Amber sah auf den aktuellen Kontoauszug. 1284 Dollar und 65 Cent waren im Haben.
»Bringen Sie das Geld auf?«
Amber schüttelte den Kopf. »Ich könnte meine Lebensversicherung verkaufen.«
»Damit haben Sie gerade mal die Hälfte der Summe zusammen. Wie wäre es, wenn Sie einige Arbeiter entlassen? Zugegeben, das macht sich nicht sofort bemerkbar, aber die Leute kosten Geld.«
»Das kommt nicht infrage. Die Arbeiter sind seit vielen Jahren bei uns. Zwei stehen kurz vor dem Rentenalter. Wo sollen sie denn jetzt hin? Wer nimmt sie denn noch? Nein, ich werde die Leute auf jeden Fall behalten.«
»Gibt es jemanden, von dem Sie sich Geld leihen könnten?«
»Vielleicht wäre das möglich, doch die Ernte war so schlecht, dass ich nicht weiß, wann ich das Geld zurückzahlen könnte.«
»Was wollen wir also tun?«, fragte der Steuerberater.
Amber zuckte ratlos mit den Achseln. »Ich werde darüber nachdenken. Irgendetwas wird mir schon einfallen.«
Der Steuerberater stand auf und reichte ihr die Hand. »Sie sind eine tapfere Frau, Mrs Emslie. Und vergessen Sie nicht, Sie können Ihren Mann gerichtlich belangen. Das Gut hat die ganze Zeit über Ihrem Vater gehört. Er war immer nur der Verwalter. Mit den eigenmächtigen Überweisungen auf ein Konto im Ausland hat er sich strafbar gemacht. Er ist nicht unschuldig an der Lage des Gutes.«
»Ich weiß«, sagte Amber. »Aber ich werde nichts unternehmen. Was ist schon Geld?«
»Nun, einhunderttausend Dollar im Laufe der letzten fünf Jahre sind kein Pappenstiel.«
»Ich bin selbst schuld. Ich hätte besser aufpassen müssen.«
Amber brachte den Steuerberater zur Tür. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass Steve damit beschäftigt war, die Stahltanks, in denen der Wein reifte, zu kontrollieren. Es war ihre, Ambers, Aufgabe. Bisher hatte Steve sich darum nicht gekümmert.
Sie wusste, dass er sich in der Nähe aufhielt, um zu erfahren, was der Steuerberater herausgefunden hatte.
Laut, sodass Steve es hören musste, sagte sie zum Abschied: »Ich danke Ihnen sehr, Mr Taylor. Ich bin froh, dass sich die Ungereimtheiten in der Buchführung nun aufgeklärt haben.«
Der Mann sah sie fragend an, doch dann verstand er. »Das bin ich auch, Mrs Emslie. Meine Arbeit ist hier nun wohl beendet. Die Rechnung lasse ich Ihnen in den nächsten Tagen zukommen.«
Sie reichten sich die Hände, und der Steuerberater stellte sich dabei so, dass er Steve den Rücken zukehrte. Er sprach so leise, dass nur Amber ihn verstehen konnte: »Rufen Sie mich an, wenn Sie Hilfe brauchen, Mrs Emslie. Und warten Sie nicht auf die Rechnung. Ohne Jonahs Hilfe wäre mein Sohn wohl nicht durch die letzte Prüfung gekommen. Wir sind also quitt.«
Amber sah ihm nach und ging zurück ins Haus, als der Wagen des Mannes von der Auffahrt auf den Feldweg bog.
Steve kam
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