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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Worte nicht. Trotzdem wusste Orynanga, dass die gute Zeit hier auf dem Gut an diesem Abend zu Ende gegangen war.

5
    Amber lag noch lange wach in dieser Nacht. Sie hatte Steve gehört. »Ich kriege dich«, hatte er gerufen. »Warte nur ab. Ich kriege dich. Koste es, was es wolle.«
    Amber hatte Angst. Sie lag im Dunkeln, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und lauschte in die Stille.
    Sie hatte sich so gefreut, wieder nach Hause zu kommen. Sie hatte gedacht, dass nun das Leben beginne, hatte geglaubt, mit Jonah im Gutshaus leben zu können. Amber musste beinahe lachen über ihre Naivität. Sollte Jonah mit ihnen im Gutshaus speisen, während seine Familie unter dem Teebaum an Maden kaute? Sollte er, ein einfacher ungelernter Landarbeiter, auf dem Gut plötzlich über den Mitgliedern seines Clans stehen und ihnen Befehle erteilen?
    Bei den Aborigines gab es nur geringe Standesunterschiede. Die Alten galten als die Weisen. Auf sie wurde gehört. Jonah könnte der Leiter des Gutes werden, doch in seinem Clan würde nach wie vor Orynangas Wort gelten. Würde sie Jonah heiraten, würde sie ihm ihre Welt aufzwingen. Eine Welt, in der ein Schwarzer nichts galt.
    Und ebenso verloren wäre sie, käme sie in seine Welt. Sie wusste viel über die Riten und Gebräuche, doch sie waren kein Bestandteil ihres Lebens. Wenn ihre Liebe überhaupt eine Chance haben sollte, so müsste einer von ihnen auf alles verzichten, was das Leben bisher bestimmt hatte, und sich dem Leben des anderen anpassen. Oder gab es einen goldenen Mittelweg? Amber glaubte daran. Sonst würde sie verzweifeln. Sie hatte in den letzten Tagen gelernt, dass nicht Jonah und sie selbst über sich und ihr Leben bestimmen konnten, sondern dass ein gemeinsames Leben von vielen Dingen abhing, auf die sie keinen Einfluss hatten. War ihre Liebe groß genug, um all die Unbill, das Unverständnis, die vielen großen und kleinen Schwierigkeiten zu meistern?
    Nichts war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es würde schwer werden, ihrem Vater die Erlaubnis zu einer Heirat mit Jonah abzuringen. Und es würde sehr schwer werden, mit Steve Emslie unter einem Dach zu wohnen und mit ihm zu arbeiten.
    Was habe ich denn gedacht?, fragte sie sich kopfschüttelnd. Dass jeder, den ich kenne, mir glückstrahlend zur Liebe mit Jonah gratulieren würde?
    Sie stand auf, nahm das Foto ihrer Mutter von der Kommode und strich mit der Hand zärtlich darüber. »Was soll ich tun, Mutter? Was tätest du an meiner Stelle?«
    Das Bild antwortete nicht.
    Amber warf trotzig den Kopf zurück und sagte laut in die nächtliche Stille: »Jonah und ich werden beweisen, dass eine Mischehe ebenso glücklich sein kann wie jede andere auch. Wir werden beweisen, dass eine weiße Frau und ein Eingeborener ebenso in der Lage sind, gute Weine zu machen und ein Gut zu führen, wie ein weißer Mann.«
    Es tat ihr gut, diese Worte laut auszusprechen. Sie atmete noch einmal ganz tief durch, wischte sich mit den Fäusten die Tränen vom Gesicht, dann legte sie sich wieder ins Bett und war bald darauf eingeschlafen.
    Gleich nach dem Frühstück am nächsten Morgen ging sie in den Weinkeller. Bald würden die ersten Kunden, zumeist Hotelketten und Restaurants aus Adelaide, eintreffen, um Weine zu ordern. Amber rüttelte an den Flaschen, entfernte mit einem Besen die Spinnweben von den Kellerwänden, die sich innerhalb weniger Stunden neu bilden würden. Den Staub aber auf den alten Jahrgängen ließ sie liegen. Wein brauchte Ruhe. Jeder Kunde sollte den Eindruck haben, dass gerade für ihn ein ganz besonderer Schatz aus dem Keller geholt worden war.
    Beim Mittagessen, das an Wochentagen gewöhnlich in der großen Küche eingenommen wurde, saßen sie alle zusammen: Aluunda, die Köchin, und ihr Mann Saleem, Gärtner und Hausfaktotum in einem, dazu Steve Emslie, Walter Jordan und Amber. Die Arbeiter, die ständig auf dem Gut beschäftigt waren, hatten in einem kleinen Anbau einen Raum, in dem sie die Mahlzeiten einnahmen und auch oft nach der Arbeit dort zusammensaßen. Es war nicht viel los in Tanunda. Und nicht jeder hatte jeden Abend Lust, im Pub dieselben Gesichter zu sehen.
    Aluunda hatte heute Lammkoteletts mit Bohnen und Süßkartoffeln gemacht. Sie war eine ausgezeichnete Köchin und hatte schon vor Jahren gelernt, sich den Essgewohnheiten der Weißen zu beugen, ohne die zahlreichen wohlschmeckenden Gewürze ihrer eigenen Küche zu vernachlässigen. Heraus kamen nahrhafte Gerichte, die nach weißer Art

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