Unter dem Teebaum
zubereitet und nach Art der Ureinwohner gewürzt waren.
Normalerweise herrschte beim Mittagessen eine heitere Stimmung. Doch heute schwieg Steve Emslie. Er hatte einen Arm auf den Tisch gelegt und schaufelte das Essen in sich hinein, ohne den Blick vom Teller zu heben. Auch Amber schwieg und sah auf ihren Teller, als hätte sie noch nie zuvor ein Lammkotelett gesehen.
»Was ist los?«, fragte Walter Jordan. Ihm war die schlechte Stimmung nicht entgangen.
»Die Abos streichen nachts in den Weinbergen umher. Mehrere Stöcke sind beschädigt«, stieß Emslie hervor. »Gut möglich, dass sie die Trauben von den Stöcken klauen.« Seine Stimme klang vor Wut ganz dunkel. »Oder sie treffen sich dort mit ihren schwarzen Huren, vielleicht sogar mit weißen Mädchen, die sich nicht zu schade dafür sind, für die Wilden die Beine breit zu machen.«
Der Gutsbesitzer sah seinen Verwalter an, doch er sagte nichts. Im Allgemeinen duldete er solche Worte an seinem Tisch nicht, aber er war klug genug, um zu merken, dass mehr dahintersteckte als Unmut oder schlechte Laune.
»Ich muss mit dir sprechen, Vater«, sagte Amber, als die Tafel aufgehoben worden war. Sie hatte den ganzen Vormittag überlegt, ob sie ihrem Vater von dem Vorfall der letzten Nacht berichten sollte. Jetzt war sie sich sicher: Wenn Steve in die Schranken gewiesen würde, wäre es für alle hier leichter.
Walter nickte. »Gut, ich erwarte dich in meinem Arbeitszimmer.«
Das Arbeitszimmer war, wie Amber fand, eines der schönsten Zimmer im ganzen Gutshaus. Die Wände waren mit Holz vertäfelt, das über die Jahre hinweg einen goldenen Ton angenommen hatte. Ein großer Schreibtisch stand unter dem Fenster, links und rechts davon einige Bücherschränke, die eine Anzahl Klassiker und Bücher über Wein bargen. Auf einem der Schränke waren mehrere Pokale aufgestellt, die Walter Jordan für seine Weine bekommen hatte.
Auf der anderen Seite des Raumes befand sich ein Kamin, davor zwei große Sessel aus altem, weichem Leder und Rohrgeflecht, die leise knarrten, wenn man sich in ihnen bewegte. Auf dem Kaminsims stand in einem wertvollen Silberrahmen ein Foto von Ambers Mutter. Sie hatte die Arme auf einen Tisch gestützt, die Hände unter dem Kinn verschränkt und strahlte in die Kamera. Immer wenn Amber das Foto sah, musste sie lächeln. Auch heute huschte ein froher Schatten um ihren Mund, bevor sie sich in dem Sessel aus geflochtenem Rohr niederließ und das breite Lederpolster unter ihren Schenkeln spürte.
Walter saß ihr gegenüber und sah sie an.
»Was ist los, Kind? Was wolltest du mit mir bereden?«, fragte er und nahm einen Schluck von dem Kaffee, den er stets nach dem Mittagessen trank.
»Es geht um Steve«, erwiderte Amber. Sie saß mit nebeneinandergestellten Beinen im Sessel und hatte die Handflächen unter den Oberschenkeln verborgen. »Er hat mir gestern auf dem Nachhauseweg gedroht. Er will mich heiraten und kann nicht akzeptieren, dass ich andere Wünsche habe.«
Der Vater lachte auf. »Du bist ein hübsches Mädchen, Amber. Es wird viele Männer geben, denke ich, die dich gern heiraten würden.«
»Aber das war noch nicht alles«, fuhr Amber fort. »Er hat mich festgehalten. Wäre Jonah nicht vorbeigekommen, so weiß ich nicht, was dann passiert wäre.«
Walter Jordan seufzte. »Nun mal langsam, Amber. Steve ist ein Mann. Und du bist eine attraktive junge Frau. Wer will ihm verdenken, dass er dich heiraten möchte? Er wird wahrscheinlich ein Bier über den Durst getrunken haben. Dann sind die Pferde mit ihm durchgegangen. Du solltest dem nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Männer sind so. Jonah hätte nicht eingreifen dürfen. Schwarze sollten sich nicht in die Angelegenheiten der Weißen mischen. Und schon gar nicht in die, die ihre Arbeitgeber betreffen.«
Amber glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. »Er hätte mich vergewaltigen können, Vater. Ich bin keine von denen, die Nein sagen, wenn sie Ja meinen. Schon das zweite Mal habe ich ihm gesagt, dass ich ihn nicht heiraten werde. Doch er will mich einfach nicht in Ruhe lassen. Tut er es nicht, so solltest du ihn entlassen. Es gibt genug Männer seines Schlages. Ich habe ein Diplom und bin ebenso gut wie er in der Lage, ein Gut zu führen.«
Walter Jordan stellte seine Kaffeetasse mit einem lauten Knall auf den kleinen Tisch und fuhr mit der flachen Hand durch die Luft. »Es gibt keine Vergewaltigungen, Amber. Wir sind hier nicht im Krieg. Und ich denke nicht daran, einen guten
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