Unter dem Teebaum
die alte Frau vor ihr.
»Du hast gehört, was ich mit meinem Vater beredet habe, nicht wahr?«, fragte Amber.
Aluunda nickte. »Es ist nicht gut für ein weißes Mädchen, mit einem schwarzen Jungen zu gehen. Nicht gut für das Mädchen, nicht gut für den Jungen. Die Familie wird das Mädchen verstoßen, der Clan den Jungen. Allein wären sie mit ihrer Liebe und könnten sie doch nicht festhalten. Liebe braucht die Bestätigung der anderen, sonst geht sie verloren. Liebe muss gelebt werden können, sonst stirbt sie.«
»Aber mein Leben ist kein Leben ohne Jonah.«
Aluunda seufzte und strich ihr über den Kopf. »Du bist jung und wirst einen anderen finden. So wie das Känguru nicht zum Kakadu findet, so finden Schwarze und Weiße nicht zueinander. Kakadu und Känguru sind Tiere von verschiedenen Stämmen. Schwarze und Weiße auch.«
Aluunda sah zum Haus hinunter. »Es ist Zeit zum Abendessen. Komm herunter. In schwierigen Zeiten muss man an den Gewohnheiten festhalten.«
Sie gab Amber einen leichten Stoß, dann drehte sie sich um und ging zum Haus zurück.
Amber folgte ihr langsam.
Die Sonne fiel hinter die Hügel und krönte ihre Kuppen mit einem roten Schein. Die Wolken am Himmel zogen träge dahin und überließen allmählich der Nacht die Herrschaft. Carolina Cellar lag im Zwielicht.
Walter Jordan stand unweit des Gutshauses auf dem Kiesweg, der hinüber zu den Hütten der Aborigines führte, und sah über seinen Besitz. Die Weinberge, die ihm gehörten, reichten bis zum Horizont. Das große dreistöckige Gutshaus, das sogar über zwei gekachelte Badezimmer verfügte, hatte er vor ein paar Jahren aufwendig renovieren lassen. Nun zählte es zu einem der prächtigsten Anwesen in der Gegend um Tanunda. Auch der Maschinenpark des Gutes konnte sich sehen lassen. In der großen Halle, die ein Stück vom Gutshaus entfernt stand, parkten neue Traktoren, die eigens für den Betrieb in den Weinbergen hergestellt worden waren.
Walter Jordan war ein wohlhabender Mann, aber er war auch ein bescheidener Mann. Das große Gut und vor allem dessen Wert gab ihm Sicherheit, doch für persönlichen Luxus hatte er nicht viel übrig. Sein Konkurrent Lambert hatte sich aus Deutschland einen Mercedes bestellt. Auf solch eine Idee wäre Walter Jordan nie gekommen. Sein Wagenpark war vergleichsweise bescheiden. Es gab den Geländewagen von Steve Emslie, einen weiteren Landrover und als Privatwagen einen alten Ford, der die besten Tage längst hinter sich hatte. Aluunda erledigte die Einkäufe in einem italienischen Kleinwagen und spottete über Saleem, der sich weigerte, ein Fahrzeug zu bedienen, das schneller fuhr, als ein australischer Wildhund rennen konnte. Seit Jahren fuhr er einen klapprigen Pickup und weigerte sich, das Auto gegen ein moderneres und vor allem zuverlässigeres Modell einzutauschen.
Walter Jordan war ein zufriedener Mann. Er hatte alles, was er sich wünschte, sogar mehr als das. Während der Lese beschäftigte er bis zu achtzig Leute, und er wurde von den meisten geschätzt. Auch in Tanunda galt er als angesehener Bürger. Er spendete regelmäßig für die Projekte seiner katholischen Gemeinde, war Mitglied im Verein der südaustralischen Winzer und nahm sogar am Schützenfest teil.
Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte das Leben genau so bleiben können. Doch es ging nicht nach ihm. Zumindest nicht in diesem Fall.
Wie konnte das nur passieren?, fragte er sich seit dem Gespräch mit Amber. Wie hatte es dazu kommen können, dass seine Tochter sich mit einem Schwarzen einließ? War es falsch gewesen, sie von einer Aborigine aufziehen zu lassen? Oder war sein Hausmotto »Leben und leben lassen« daran schuld? Aber vor allem fragte er sich, warum er diese Affäre – nein, ein anderes Wort dafür fiel ihm nicht ein – nicht schon früher bemerkt hatte.
Für solche Fragen war es nun zu spät, und Walter Jordan wusste das auch. Jetzt galt es, zu handeln, um das Schlimmste zu verhüten. Deshalb stand er in der Dämmerung hier und lauschte in die Stille. Endlich hörte er leise Schritte. Orynanga stand vor ihm.
»Guten Abend, alter Freund«, sagte Walter Jordan. »Ich habe dich erst im letzten Moment bemerkt.«
Der Eingeborene lachte leise: »Es wäre ein schlechtes Zeichen, hättest du mich früher erkannt. Orynanga ist alt, würde das bedeuten.«
Walter Jordan bat den Buschmann in seinen Weinkeller und schenkte ihm ein Glas frisch gebrannten Traubenbrand ein.
»Wir haben ein Problem, Orynanga«,
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