Unter dem Teebaum
sagte er, als der Aborigine ausgetrunken hatte, und hielt sich entgegen der Gewohnheit dieses Mal nicht mit langen Vorreden auf.
»Wir haben immer Probleme«, entgegnete Orynanga. »Die meisten Dinge sind jedoch weniger schlimm, als sie scheinen.«
»Amber und Jonah wollen heiraten«, erwiderte Walter.
Orynanga nickte. »Ich dachte es mir.«
Er sah Walter an, dann fügte er hinzu: »Sie dürfen nicht heiraten. Sie dürfen noch nicht einmal miteinander gesehen werden. Deine Tochter, mein Freund, wäre sofort als Hure abgestempelt. Die Kunden würden wegbleiben, und am Ende bekäme Carolina Cellar einen neuen Besitzer, und wir verlören unsere Heimat mit der heiligen Stätte unseres Totem.«
»Amber wird in wenigen Wochen volljährig sein. Sie braucht dann keine Einwilligung mehr zum Heiraten. Und Jonah braucht sie sowieso nicht.«
Orynanga nickte. »Es wird sich kein Priester finden, der sie traut«, vermutete er.
»Oh, täusch dich nicht, mein Freund. Seit Jahrzehnten versuchen euch die Christen zu missionieren. Die katholische Heirat eines Eingeborenen wäre ein Erfolg für die Mission und den Reverend.«
Orynanga hielt Walter sein leeres Glas hin. Der Winzer goss ein, und beide tranken ihre Gläser in einem Zug leer.
Dann sahen sie in das Licht der Kerze, die Walter angezündet und auf ein leeres Fass gestellt hatte. Niemand wusste, wie viel Zeit vergangen war, als Orynanga schließlich sagte: »Ich werde Jonah auf seinen Traumpfad schicken. Er ist alt genug. Er wird den Spuren seiner Ahnen folgen. Lange wird er unterwegs sein. Er wird ins Outback gehen und bis zum Uluru gelangen müssen. Erst wenn er dort an den Initiationsriten teilgenommen hat, wird er zurückkehren.«
Walter Jordan schüttelte sich ein wenig. »Die Initiationsriten, müssen sie sein? Ist es wirklich notwendig, einem jungen, attraktiven Mann die Nasenlöcher schmerzhaft zu weiten und seine Brust mit Schnitten zu überziehen, in die Schlamm gebracht wird, damit es zu breiten Narben kommt?«
Orynanga sah auf. »Es ist Teil unserer Kultur. Ich sehe oft, wenn ich in Tanunda bin, weiße Mädchen, die sich die Ohrlöcher durchstoßen und mit Metall füllen lassen. Ist das weniger grausam?«
Walter Jordan schüttelte den Kopf und goss die Gläser erneut voll. »Er wird lange weg sein.«
Der Aborigine nickte. »Viele Monate werden vergehen. Monate, die du gut nutzen solltest. Manche von uns bleiben für Jahre im Outback. Manche bringen Frauen von dort mit, einige sogar Kinder. Wenn Jonah im Outback ist, wird er Amber vergessen. Wenn Amber Jonah nicht mehr sieht, wird sie Jonah vergessen. Am Ende wird alles gut.«
»Er sollte so schnell wie möglich gehen, Orynanga.«
»Noch vor der Lese?«
»Ja. Am besten schon morgen. Am besten ohne Aufsehen. Am besten, ohne dass er Amber noch einmal sieht.«
Orynanga nickte. »Ich verstehe deine Eile. Doch ich muss ihn auf seinen Traumpfad vorbereiten. Jeder junge Mann muss vorbereitet werden, um sich im Outback zurechtzufinden. Er muss wissen, welche Clans sich wo befinden, falls er Hilfe benötigt. Zwei Tage brauche ich, um Jonah alles zu sagen, was er wissen muss. Ich werde sehen, dass der Junge in dieser Zeit unsichtbar bleibt. Ich werde mit ihm in den Wald gehen.«
Ambers Vater seufzte. »Ich will meiner Tochter nicht wehtun. Ich möchte ihr keine Schmerzen bereiten.«
»Auch ich möchte der Liebe zwischen zwei Menschen nicht im Wege stehen, doch wenn die Liebe zum Verhängnis werden kann, dann ist es wohl unsere Pflicht«, erwiderte Orynanga.
Walter Jordan reichte dem Eingeborenen die Hand. »Wenn du das für uns tust, Orynanga, werde ich mich erkenntlich zeigen. Sag mir, welchen Wunsch ich dir erfüllen kann.«
Der Alte sah Walter von unten herauf an, öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Schließlich sagte er leise: »Ich tue es nicht nur für dich, weißer Mann. Ich tue es, damit Ruhe in meinem Clan herrscht. Du sorgst dich um deinen Frieden und ich mich um den meinen, so, wie es sich für zwei alte Männer gehört.«
Walter Jordan begann zu lachen. Er hieb Orynanga auf die Schultern, lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. Auch der Aborigine stimmte in das Lachen ein, und so saßen zwei alte Männer in einem feuchten Weinkeller um ein leeres Fass mit einer Kerze und lachten, weil sie nicht den Mut zum Weinen hatten.
6
Amber war schmal geworden und wirkte ruhelos. Vier Wochen schon hatte sie Jonah nicht mehr gesehen. Vier Wochen schon wartete sie auf ein Zeichen
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