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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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ließ sich das Baby von Margaret in den Arm legen.
    »So«, rief die resolute Frau und klatschte in die Hände. »Nun wird es Zeit, dass Jonah sein Schwesterchen sieht.«
    Sie eilte zur Tür, um den Jungen, der bei Aluunda in der Küche wartete, zu rufen, doch Steves Stimme hielt sie zurück: »Nein!«
    »Was heißt hier ›Nein‹?«, fragte Margaret und blieb stehen.
    »Ich möchte nicht, dass der schwarze Teufel mein kleines Mädchen sieht. Nicht vor der Taufe«, erwiderte Steve, und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte auf den Boden gespuckt.
    »So ein Unfug«, erklärte Margaret und fasste nach der Klinke, doch Steve kam hinzu und hielt ihren Arm fest. »Ich habe Nein gesagt. Der Schwarze bleibt, wo er ist. Solange der Pfarrer die Kleine nicht gesegnet und getauft hat, kann es sein, dass der Teufel, der in ihm wohnt, auf meine Tochter überspringt.«
    »Aber Steve, Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie wirklich glauben, der Teufel wohne in dem Jungen? Oh, nein, das nehme ich Ihnen nicht ab. Sie sind viel zu klug, um auf diesen Aberglauben hereinzufallen. Springen Sie über ihren Schatten, und lassen Sie Jonah heraufkommen.«
    Steve schüttelte trotzig den Kopf.
    »Nein!«
    »Also gut«, lenkte Margaret ein. »Dann telefoniere ich nun nach dem Priester. Er wird sicherlich Zeit haben und gleich kommen. Das Tauffest in der Kirche kann später noch gefeiert werden. Walter möchte sicher auch wissen, welche Art von Großvater er geworden ist.«
    Ehe die anderen es sich versahen, war sie auch schon aus der Tür.
    Steve hielt noch immer das winzige Mädchen im Arm, wiegte es vorsichtig und setzte sich mit dem kostbaren kleinen Leben in einen Lehnstuhl, der nahe beim Fenster stand. Ganz behutsam, als wäre das Baby aus Glas, strich er über ihre Wange, fuhr mit seinem großen Finger sanft die winzigen Lippen nach. Sofort öffnete sich der kleine Mund und begann an dem Finger zu saugen.
    »Sie hat erkannt, dass ich ihr Vater bin«, murmelte Steve. Seine Worte waren töricht und waren ihm vor Rührung entschlüpft, doch Amber richtete sich im Bett auf, berührte Steve sanft und sagte: »Ja, Steve, du bist ihr Vater.«
    »Wir werden sie Emilia nach meiner Mutter nennen«, sagte Steve und wandte keinen einzigen Blick von dem winzigen Geschöpf.
    »Ein schöner Name«, bestätigte Dr. Lorenz, der seine Instrumente sorgfältig mit desinfizierenden Tüchern abrieb und in seiner Tasche verstaute.
    Amber hatte eigentlich vorgehabt, das Kind Carolina nach ihrer Mutter zu nennen, doch beim Anblick des großen missmutigen Mannes, der im Angesicht seines Kindes so weich und freundlich wurde, stimmte sie zu. »Ja, wir werden sie Emilia nennen, wenn du das so möchtest. Aber vergiss nicht, sie ist nicht nur deine Tochter, sondern auch Jonahs Schwester.«
    Unwillig sah Steve hoch: »Ein Tier hat keine Geschwister.«
    Dr. Lorenz schüttelte leicht den Kopf. »Was haben Ihnen die Schwarzen eigentlich getan, Steve? Sie sind ein so kluger Mann. Ich kann ebenso wenig wie meine Mutter glauben, dass sie wirklich so über die Aborigines denken.«
    War es die außergewöhnliche Situation? War es Margaret, die gerade wieder zur Tür hineinkam und ihm freundlich zunickte?
    Sie hatte die letzten Worte wohl gehört. »Ja, Steve. Irgendetwas müssen Ihnen die Ureinwohner einmal angetan haben. Sonst ist Ihre Haltung nicht zu verstehen. Erzählen Sie! Was ist Ihnen geschehen?«
    Steve räusperte sich. Er stand auf, legte die Kleine zu Amber ins Bett, dann wandte er sich zum Fenster, sah hinaus und schwieg. Nach einer kleinen Weile erst begann er zu erzählen, doch er wandte den anderen dabei den Rücken zu.
    »Ich war noch ein kleiner Junge, acht Jahre alt, ungefähr. Meine Eltern hatten eine Rinderfarm. Eines Tages stellte mein Vater fest, dass einige Rinder fehlten. Am Abend waren sie noch auf der Weide, am Morgen war nichts mehr von ihnen zu sehen. Er legte sich mit einer Schrotflinte auf die Lauer. Nicht lange nach Mitternacht kamen die Viehdiebe. Es waren Aborigines, die meinten, das Land gehöre ihnen. Sie hatten wohl Hunger, denn bis zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, dass die Schwarzen ein sanftes, freundliches Volk sind, die nur stehlen, um ihre ureigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Mein Vater legte die Flinte an und zählte, doch im selben Augenblick kam meine Mutter auf die Weide, um meinem Vater Tee zu bringen. Sie sah die Schwarzen, sah die Flinte und schrie auf. Mein Vater erschrak, ein Schuss löste sich, und die Rinder

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