Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
sah Mae an, die nickte und dann aufstand. » Ich muss dir etwas zeigen«, sagte sie.
» Du willst sie mitnehmen?«, klagte Jack und stand ebenfalls auf. » Sie braucht das nicht zu sehen.«
» Das sagst du nur, weil du fürchtest, sie wird ihre Meinung dann ändern«, sagte Mae.
» Ja, klar!«
» Wenn es ihre Meinung ändert, dann ist es auch richtig so!«, fauchte Mae. » Wenn du ihr Dinge vorenthältst und sie eine Entscheidung trifft, die sie später bereut, wird sie dir das für den Rest der Ewigkeit übelnehmen. Willst du das wirklich?«
» Nein«, murmelte Jack und rieb sich seinen Nacken.
» Wovon redet ihr?«, fragte ich nervös und erhob mich.
» Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.« Mae schenkte mir ein gezwungenes Lächeln, wandte sich dann zu Ezra und gab ihm einen Abschiedskuss. » Wir sind bald wieder zurück.«
» Okay. Passt auf euch auf.« Ezra schien traurig zu sein, dass sie ging, lächelte mir aber beruhigend zu. » Keine Sorge.«
» Was geht hier vor?«, fragte ich Jack verunsichert, bevor ich Mae folgte, die das Wohnzimmer verließ.
» Ich schätze, du musst gehen«, seufzte Jack und setzte sich wieder. » Wir sehen uns später.«
» Wohin gehen wir?« Ich ging dicht hinter Mae und konnte ihren angespannten Gesichtsausdruck sehen. Es machte mir Angst, an einen Ort zu gehen, der sie so bedrückt aussehen ließ.
» Ich werde es dir im Auto erklären.«
Kapitel 20
In nervöser Erwartun g stieg ich in den Jetta. Was konnte sie mir nur zeigen wollen, das mich vielleicht davon abschreckte, ein Vampir zu werden? Ich machte mich schon auf ein schreckliches Monster oder ein geheimes Versteck menschlicher Leichen oder etwas ähnlich Grauenvolles gefasst. Was könnte es sonst geben, das meinen Entschluss, mich in einen Vampir verwandeln zu lassen, ändern könnte?
Selbst die sanften Klänge von Nina Simone, die aus dem Autoradio schallten, konnten mich nur wenig beruhigen, und ich sah besorgt zu Mae hinüber, die ihren leidvollen Blick strikt geradeaus hielt.
» Ich wurde 1928 in Reading, England geboren«, erklärte Mae mit einer so traurigen Stimme, dass ich sie kaum wiedererkannte. » Ich war noch sehr jung, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, an dessen Ende in England amerikanische Soldaten stationiert waren. Philip war der charmanteste junge Mann, der mir jemals begegnet war.« Ihr Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln, das jedoch nicht ihre Augen erreichte. » Trotz aller Bemühungen, tugendhaft zu sein, wurde ich mit sechzehn schwanger. Und da Philip ein rechtschaffener Mann war, haben wir geheiratet. Mein erstes Kind, ein Sohn namens Samuel, wurde geboren, als Philip noch im Krieg war. Samuel war fünf Monate alt, als Philip seinen Kriegsdienst beendet hatte und wir in die USA zogen, in eine kleine Wohnung in St. Paul, Philips Heimatstadt«, fuhr Mae fort. » Die ersten paar Monate dort waren wundervoll. Doch dann, eines Nachts, drei Wochen vor Samuels erstem Geburtstag, ging ich in sein Zimmer, um nach ihm zu sehen, und er atmete nicht mehr.« Eine einsame Träne rollte über ihre Wange, doch Mae sprach weiter, ohne sie wegzuwischen.
» Der Schmerz wird nie geringer. Glaube niemandem, der das behauptet. Ein Kind zu verlieren, ist … ein unerträglicher Schmerz.«
» Es tut mir leid«, sagte ich, weil ich keine anderen Worte fand.
» Alle sagten mir › wenigstens bist du jung genug, um es noch einmal zu probieren ‹ .« Mae warf mir beim Gedanken daran ein bitteres Lächeln zu. » Aber ich wollte es nicht noch einmal probieren. Nach Samuels Tod habe ich mich monatelang im Bett verkrochen. Meine Familie, alles, was mir vertraut war und was ich liebte, war Tausende Kilometer weit weg. Und mein Mann, so sehr er mich liebte, war selbst sehr jung und damit beschäftigt, zu arbeiten und uns ein Leben aufzubauen …« Sie war einen Augenblick in Gedanken weit weg, doch dann schien sie sich plötzlich wieder daran zu erinnern, dass ich neben ihr saß, und fuhr fort.
» Ich war damals kaum älter als du, also kannst du dir gut vorstellen, wie es gewesen sein muss.« Mae sah mich liebevoll an, doch ich glaubte, auch eine unterschwellige Warnung in ihrem Blick zu erkennen. » Ich verstehe, dass es aufregend sein kann, ein völlig neues Leben mit einem attraktiven Fremden angeboten zu bekommen. Aber du trennst dich damit von allem, was dir vertraut ist.«
» Ich habe nicht das Gefühl, mich von etwas zu trennen«, antwortete ich lahm.
Ich versuchte zu verstehen, warum sie mir
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