Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
Luft und sah sie ungläubig an.
» Ja.« Es schien sie zu freuen, dass mir die Ähnlichkeit aufgefallen war. » Sie ist Lehrerin. Sie war verheiratet, doch ihr Mann hat sie vor Jahren verlassen. Ezra wollte ihm einen Denkzettel verpassen, doch ich sagte ihm, er solle es nicht tun. Sarah muss ihr eigenes Leben leben. Sie ist jetzt fünfundfünfzig. Sie hat eine Tochter, Elizabeth, und der kleine Junge auf ihrem Arm ist ihr Enkelsohn Riley. Mein Urgroßenkel.« Sie lächelte traurig. » Unter der Woche, wenn Elizabeth arbeiten geht, passt sie auf ihre Enkelkinder auf. Riley ist drei, und Daisy ist vor Kurzem fünf geworden.«
» Dann kommst du regelmäßig hierher und beobachtest sie?«, fragte ich.
» Das war die einzige Möglichkeit, sie aufwachsen zu sehen«, erklärte Mae traurig. » Als sie klein war, ging ich nachts in ihr Zimmer und sah ihr beim Schlafen zu. Ich tat das sogar eine Weile bei Elizabeth, aber Ezra sagte, ich müsse anfangen sie loszulassen. Sarah hat ein schönes Leben, und darüber sollte ich einfach glücklich sein. Ich weiß, Ezra hat recht«, sagte Mae. » Es wird schwer sein mit anzusehen, wie sie alt und gebrechlich wird – sie sterben zu sehen.« Sie schluckte schwer. » Ich möchte meine Tochter nicht überleben. Ich habe schon eines meiner Kinder überlebt und mir geschworen, dass ich das nie wieder durchmachen würde.«
Sie sah mich an und flüsterte: » Es ist so viel schlimmer, jemanden sterben zu sehen, den du liebst, als einfach selbst zu sterben. Unsterblichkeit ist viel mehr ein Fluch als ein Segen.«
» Aber du hast Ezra, und Peter und Jack«, versuchte ich, sie zu trösten. » Ich weiß, das ist nicht dasselbe wie ein Kind, das du geboren hast, aber du liebst sie auch, und du wirst in alle Ewigkeit mit ihnen leben.«
» Ich weiß, und ich bin dankbar dafür, sie zu haben. Ohne Ezra hätte ich es niemals so lange ausgehalten.« Mae sah wieder zu ihrer Tochter hinüber. Durch den offenen Vorhang hindurch sahen wir Sarah einem kleinen Mädchen mit seidenen blonden Locken hinterherlaufen.
» Vor drei Jahren starb Philip. Ich weinte viel mehr, als ich es nach all den Jahren für möglich gehalten hätte. Er war immer gut zu mir gewesen und unserer Tochter ein wundervoller Vater. Damals hat Ezra unser Haus gebaut und gesagt, das würde unser letztes Zuhause sein in Minneapolis«, seufzte Mae. » Er mag es nicht, so lange in derselben Stadt zu wohnen, schon gar nicht in einer Stadt, in der Familienangehörige wohnen. Jacks Mutter hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben, nachdem er zum Vampir geworden war, doch sie brachen die Suche schließlich wegen eines anderen Jugendlichen ab, der betrunken in einen gefrorenen See gefallen war.«
» Leidet Jack sehr darunter, dass er seine Mutter und seine Familie zurücklassen musste?«, fragte ich.
Er hatte mir nie von seiner Familie erzählt. Doch das hatte auch Mae bisher nicht getan, der ihre Familie so viel bedeutete.
» Er hat nach seiner Verwandlung jeglichen Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen«, sagte Mae. » Er war nie sehr vertraut mit ihr gewesen. Sie hatte ihn verlassen, als er noch klein war, und nur seine Schwester mitgenommen, sodass er bei seinem Vater aufwuchs. Soweit ich es verstanden habe, war auch sein Vater kein besonders netter Mensch. Dann ist sein Vater an Krebs erkrankt, und seine Mutter war gezwungen, sich wieder um ihn zu kümmern. Um ehrlich zu sein, glaube ich, er ist froh darüber, dass er eine Entschuldigung hat, sie nicht mehr sehen zu müssen.«
» Warum seid ihr dann so lange hiergeblieben?«, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort schon beinahe denken konnte.
» Weil ich mich geweigert habe fortzugehen«, sagte Mae schlicht. » Aber die Jungs werden langsam unruhig. Jack hat noch nie woanders gelebt, und auch Peter wird wohl zu anderen Ufern aufbrechen. Doch er war schon immer ein Ruheloser, den es nie lange am gleichen Ort hielt. In ein paar Jahren werde ich keine andere Wahl haben und umziehen müssen, ob ich will oder nicht. Und vielleicht ist es auch besser für mich, meine Tochter so dynamisch und rüstig in Erinnerung zu behalten, wie sie jetzt noch ist.«
» Wo werdet ihr hinziehen?«, fragte ich.
» Das wissen wir noch nicht genau. Ezra hat eine Liste von Orten, an die er gerne gehen würde. Wir haben an England gedacht, da wir beide, Ezra und ich, dort geboren sind und ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr nicht mehr dort gewesen bin.« Sie sah mich ernst an. » In zwei oder drei Jahren
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