Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
Meinen Bruder aufzugeben oder sie alle.
Kapitel 21
Ich hatte den Ko p ƒ komplett unter der Decke vergraben, um nicht vom Tageslicht geweckt zu werden, doch als ich endlich einen Blick hervorwagte, war es dunkel im Raum. Das konnte zum Teil an den dicken Vorhängen liegen, die jedes Fenster im Haus verdeckten, doch den Hauptgrund dafür erahnte ich erst nach einem Blick auf den Nachttisch-Wecker: Es war bereits nach sechs, und die Sonne war wahrscheinlich schon untergegangen.
Letzte Nacht war ich wieder mit Jack aufgeblieben. Wir hatten Mystery Science Theater 3000 auf DVD geschaut und absichtlich nicht über die Frage gesprochen, die unübersehbar im Raum stand: Ob ich jemals ein Vampir werden wollte oder nicht.
Ich konnte die Auswirkungen meiner Entscheidung immer noch nicht vollkommen erfassen. Aber wie sollte ich das auch, schließlich kam mir das alles immer noch total irreal vor. Zum Beispiel hatte ich die letzte Nacht damit verbracht, eine alte TV -Show auf DVD zu schauen und gleichzeitig einen Vampir davon abzuhalten, mich zu beißen.
Wie waren diese beiden Dinge miteinander in Einklang zu bringen? Das absolut Weltliche und das extrem Übernatürliche? Eines dieser beiden Dinge war einfach zu verrückt, um wahr zu sein.
Anstatt darüber noch länger zu brüten, rollte ich mich auf die Seite und nahm mein Handy vom Nachttisch. Ich erinnerte mich vage daran, von dessen Klingelton aufgewacht zu sein, doch ich war zu müde gewesen, um zu antworten. Als Mensch kann es ganz schön anstrengend sein, die ganze Nacht lang wach zu bleiben.
Was ist los? Bist du tatsächlich krank, oder was? , fragte mich Jane in einer SMS .
Und: Hallo? Ignorierst du mich etwa? Zumindest zeigte sie noch Interesse an mir, was ich schon ziemlich überraschend fand.
Auch Milo hatte mir drei Nachrichten geschickt, die ich mit schlechtem Gewissen las. Ich mochte nicht daran denken, wie er jetzt die ganze Zeit allein in der Wohnung saß. Er hatte keine richtigen Freunde, und dann war da noch seine aktuelle Verunsicherung wegen seiner Sexualität. Es war ein denkbar schlechter Moment, ihn allein zu lassen.
Gehst du jetzt nicht mehr zur Schule?
Mom hat nach dir gefragt. Sie ist besorgt. Vielleicht solltest du dich bei ihr entschuldigen.
Ich mache mir auch Sorgen. Wann kommst du nach Hause?
Ich stöhnte und zog mir die Decke wieder über den Kopf. Wie sollte ich darauf antworten? Ich würde wahrscheinlich nie wieder nach Hause kommen, und auch ihn womöglich nie wiedersehen.
Aber das konnte ich ihm unmöglich so sagen. Zumindest wollte ich es nicht. Erst gestern hatte ich ihm noch versprochen, er würde für immer ein Teil meines Lebens sein. Doch das war offenbar eine komplette Lüge gewesen.
» Bist du schon auf?«, fragte Jack heiter, als er ins Zimmer trat.
» Wie definierst du › auf sein ‹ ?«
» Ich werte das mal als ein › Ja ‹ .« Die Matratze meines Bet tes hob sich, als Jack sich darauf warf, und ich zog meine Zudecke etwas tiefer und schielte darunter hervor. Aus dem Gang fiel schummriges Licht ins Zimmer, sodass ich sein freches Grinsen erahnen konnte. » Guten Morgen, meine Liebe.«
» Wenn du weiterhin so heiter bist, kannst du gleich wieder gehen«, maulte ich, und er lachte.
Ich hasste in diesem Moment sein wundervolles Lachen und das herrliche Kribbeln, das es in mir auslöste. Ich wollte mich jetzt nicht wohlfühlen. Ich wollte vielmehr den ganzen Tag lang Trübsal blasen und mich im Bett verkriechen, bis jemand anderes für mich eine Entscheidung getroffen hatte.
Über etwas so Bedeutendes wie den Rest meines Lebens entscheiden zu müssen, war weit mehr Verantwortung, als mir lieb war.
» Schlecht geschlafen, was?« Auf die Ellenbogen gestützt, grinste Jack auf mich herab.
» Geschlafen hab ich eigentlich prima.« Ich zog den Arm unter der Decke hervor und streckte ihm mein Handy entgegen, das ich immer noch in der Hand hatte. » Milo hat mir geschrieben.«
» Verstehe.« Er nahm das Handy und klickte sich durch die Nachrichten. » Jane redet noch mit dir? Ich dachte, die hättest du hinter dir.«
» Ich hatte sie noch nie vor mir. Wir haben in der Schule zusammen Mittag gegessen und so, das ist alles«, antwortete ich auf seine missbilligende Bemerkung. » Vergiss Jane. Wegen ihr bin ich nicht so mies gelaunt.«
» Du hast ihm nicht geantwortet.«
» Was hätte ich ihm denn schreiben sollen?«, fragte ich ehrlich.
» Was du willst«, sagte er schulterzuckend und gab mir mein Handy zurück.
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