Unter dem Weltenbaum - 01
Flechtkranz seines Haars gelöst hatte. Ja, sie sollte sich unbedingt einmal mit Embeth unterhalten. Der Abend war zwar schon weit fortgeschritten, aber vielleicht hatte die Herrin sich noch nicht zur Ruhe begeben. Ob es ihr wohl etwas ausmachte, zu so später Stunde Besuch zu erhalten? Schon stand Faradays Entschluß fest. Sie schwang die Beine aus dem Bett und legte sich einen dicken Schal um die Schultern, um sich vor der kalten Nachtluft zu schützen.
Dunkelheit und Stille herrschten im Wohnturm. Alle hatten sich früh hingelegt, weil es morgen schon zeitig losgehen sollte. Das Mädchen schlich durch den finsteren Gang und tastete sich an der Wand entlang. Sie fror an den Füßen, als sie zwischen den Läufern und kleinen Teppichen auf kalte Steinplatten trat. Als Faraday an der Kammer ihrer Mutter vorbeikam, hielt sie den Atem an. In Gedanken verwünschte sie die Listen, die die Mutter ihr gegeben hatte. Sie hatte den Kopf jetzt so voll damit, daß sie Bornheld in der Hochzeitsnacht sicherlich die Namen seiner Gefolgsmänner herunterleiern würde. Faraday wünschte, Merlion hätte ihr mehr darüber berichtet, was ein Ehemann von seiner Frau erwartete.
Endlich erreichte sie die Tür von Embeths Gemach. Unter der Türritze schien Licht hervorzudringen, aber so matt, daß sie sich nicht sicher war. Zumindest bestärkte das Faraday aber in ihrer Vermutung, daß die Herrin noch wach war. Sie klopfte leise an und lauschte, ob sich in dem Raum etwas tat. Als sich nichts vernehmen ließ, klopfte sie noch einmal an die Tür. Embeths Stimme war jetzt zu hören, aber so leise, daß Faraday kein Wort verstehen konnte. Doch nahm sie dies als Aufforderung, einzutreten.
Sie drückte den Griff hinunter und befand sich schon in der Kammer. Die Herrin saß auf der Bettkante, trug nicht mehr als eine grüne Wolldecke und starrte sie voller Entsetzen und Unglauben an.
»Embeth«, begann Faraday, nachdem sie den Raum schon zur Hälfte durchquert hatte, »es tut mir leid, Euch noch so spät zu stören, aber ich wollte Euch etwas fragen …«
Erst jetzt entdeckte das Mädchen, daß Axis nackt an der Feuerstelle stand. Sie blieb wie angewurzelt stehen und konnte ihn nur anstarren.
»Faraday!« rief Embeth, erhob sich und streckte eine Hand nach dem Mädchen aus.
Faraday konnte ihren Blick endlich losreißen und sich der Herrin zuwenden. Die Hände, die den Schal zusammenhielten, zitterten unvermittelt. Wie hatte sie sich nur so zur Närrin machen können? Tränen der Scham traten ihr in die Augen, und sie stolperte zur Tür zurück. »Verzeihung«, stammelte sie, »entschuldigt mich bitte.« Damit drehte sie sich um und rannte los, bevor ihr die Tränen über die Wangen rollen konnten.
Axis wollte ihr nach, aber Embeth hielt ihn mit einem Blick zurück. »Wartet hier, ich werde mit ihr reden.«
Embeth lief, so rasch sie sich nur traute, über den nachtschwarzen Gang. Sie wollte nicht nach dem Mädchen rufen, weil sie damit bestimmt Merlion aufgeweckt hätte. Und sie hoffte inständig, Faraday möge nicht aus lauter Wut die Tür ihrer Kammer zuwerfen oder, schlimmer noch, den Riegel vorschieben. Zu ihrem Glück kam dem Mädchen weder das eine noch das andere in den Sinn, und Embeth konnte hinter ihr in die Kammer huschen. Die Herrin vergaß natürlich nicht, die Tür sorgfältig hinter sich zu schließen.
Faraday hatte sich ins Bett verkrochen und hielt die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern zuckten. Embeth setzte sich zu ihr und nahm sie in die Arme. »Faraday?«
Sie nahm die Hände vom tränenverschmierten Gesicht. »Ach, Herrin, es tut mir so leid. Ich hatte ja keine Ahnung, daß … daß …«
»Ganz ruhig, alles ist in Ordnung. Ihr habt nichts Unrechtes getan, Faraday. Axis und ich waren die Narren, weil wir bei so vielen Gästen auf der Burg ein solches Wagnis eingingen. So beruhigt Euch doch.«
Das Mädchen holte tief Luft und bemühte sich, den Tränenfluß zum Versiegen zu bringen. Bei Artor, wie einfältig sie doch war! »Wie … wie lange …«
»Ach, seit drei Jahren, wir sehen uns ab und an. Doch jetzt hört mir bitte zu, Faraday. Axis und ich sind schon sehr viel länger gute Freunde, und nur manchmal liegen wir uns in den Armen. Aber wir sind einander nicht in tiefer Liebe zugetan. Habt Ihr verstanden, was ich gerade gesagt habe?«
Faraday nickte und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort. »Ich glaube, ja, aber ich komme mir immer noch entsetzlich dumm vor.«
»Nun ja,« meinte die Herrin
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