Unter dem Weltenbaum - 01
wir alle hinein, Axtherr?«
Axis lachte mitfühlend, als er die Bedenken seines Leutnants heraushörte. »Nein, Belial, nur einige von uns. Ich selbst, Bruder Gilbert und noch zwei weitere. Am ehesten Timozel … und Arne.« Er nannte den Namen eines seiner besten Kohortenführer. »Ihr selbst bleibt als mein Stellvertreter bei den Axtschwingern und übernehmt während meiner Abwesenheit das Kommando über die Truppe.«
Dem Leutnant gelang es nicht, seine Erleichterung zu verbergen. »Wie Ihr befehlt, Axtherr.«
Vom Lagerfeuer aus wirkte der Wald der Schweigenden Frau tatsächlich noch unheimlicher und bedrohlicher. Dunkel und dick, knorrig und mächtig, schienen die Stämme immer näher zusammenzuwachsen. Ihre Wipfel ragten wohl an die hundert Schritte hoch in den Himmel und breiteten sich ungehemmt aus. Ihre Äste berührten sich und verwuchsen so miteinander, daß kein Sonnenstrahl jemals den Boden erreichte. Auch gewann mancher den Eindruck, daß sie aus dem Astwerk hervor beobachtet wurden. Und wer genauer hinhörte, glaubte einen ständigen wispernden und murmelnden Ton wahrzunehmen. Die Soldaten errichteten schweigend das Lager, und wer eben konnte, kehrte bei der Arbeit dem Gehölz den Rücken zu. Mehr Axtschwinger als üblich beteiligten sich bei den Waffenübungen und hieben deutlich sichtbar mit ihren Klingen umher. Selbst die Köche beeilten sich, das Abendessen zuzubereiten.
Faraday hielt mit einer Hand den Umhang fest geschlossen und schritt auf Axis und Gilbert zu, die dastanden und den Wald beobachteten. »Das macht einem irgendwie angst«, bemerkte sie leise, als sie die Männer erreichte. Sie hatte die Augen weit aufgerissen und sah sich ständig nach allen Seiten um. »Die Bäume wirken so wild, so ungezähmt … so unzivilisiert … Wer mag schon dazwischen leben außer Dämonen?«
Der Bruder versuchte, sie zu beruhigen. »Der Seneschall überwacht den Wald der Schweigenden Frau überaus streng, Herrin. Fürchtet Euch nicht, denn Artor ist mit uns.«
»Jetzt und immerdar«, antwortete Faraday leise, um sich dann an den Axtherrn zu wenden. »Und Ihr wollt wirklich morgen dort hineinreiten?«
Axis wandte den Blick nicht vom Dunkel des Waldes ab. »Mir bleibt keine andere Wahl. Nur Artor mag wissen, wie die Brüder hier leben können.«
Das Mädchen drehte sich wieder zu dem Mönch um. »Warum nennt man dieses Gehölz den Wald der Schweigenden Frau?«
»Weil dieser Wald nicht so viele Fragen stellt wie die meisten Frauen«, warf der Krieger ungnädig ein, ehe Gilbert antworten konnte.
»Tut mir leid, wenn ich Euch gestört habe, Axtherr«, erwiderte sie leise, drehte sich um und kehrte ins Lager zurück. Die weiße Katze lief ihr hinterher. Axis warf dem Tier einen finsteren Blick zu.
Viele im Lager verbrachten eine furchtbare Nacht. Die wenigen, die überhaupt Schlaf fanden, wachten meist nach wenigen Minuten schweißgebadet wieder auf und schlotterten vor Angst, auch wenn sie nicht sagen konnten, was ihnen einen solchen Schrecken eingejagt hatte. Nachdem Axis sich stundenlang hin und her gewälzt hatte, suchte ihn sein Alptraum wieder heim …
Er befand sich an einem dunklen Ort, lag nackt und bis zur Reglosigkeit gefesselt am Boden. Er spannte Muskeln und Sehnen gegen die unsichtbaren Bänder, um sie zu sprengen, und wußte doch, daß er seine Kräfte besser für den bevorstehenden Kampf aufsparen sollte. Schweiß brach ihm aus jeder Pore, und je stärker seine Angst wurde, desto rasselnder ging sein Atem.
Dann, irgendwann, spürte er, wie ihn das Wesen umrundete. Ein mächtiger Feind, der ihn mit Leichtigkeit zerschmettern konnte.
»Nein«, krächzte der junge Mann, »du bist nicht mein Vater.«
Aber das Fremde verhielt sich heute nicht so wie sonst. Weder sprach es, noch verströmte es den Haß, den Axis früher bei seinem Auftauchen gespürt hatte. Das Wesen schien … verwirrt zu sein.
»Wer bist du?« flüsterte der junge Mann. »Sag mir, wer du bist!«
»Wer bist du?« hallte es seltsam rauh und verzerrt aus der Finsternis zurück. »Sag mir, wer du bist!«
Das Echo kam ihm genauso bedrohlich und furchteinflößend vor, hörte sich aber entschieden anders an als sonst. Da verschwanden auch die Fesseln an seinen Gelenken. Axis sprang sogleich hoch und spähte angestrengt in die Dunkelheit, um eine Gestalt oder Bewegung auszumachen. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich feucht und kalt an.
»Wir wissen nicht, wer er ist«, wisperte eine Stimme hinter ihm, und der
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