Unter dem Weltenbaum - 01
sehr erschöpft, und dunkle Linien durchzogen seine pickligen Wangen und die weiche Stirn.
»Axtherr!« Er zeigte auf eine Stelle vor ihnen. »Wasser!«
Axis spähte durch die Finsternis. Obwohl er kaum etwas unterscheiden konnte, glaubte er doch das Funkeln von Naß zu erkennen. »Weiter«, befahl der Anführer. »Je früher wir einen Lagerplatz finden, desto besser.«
»Falls es hier überhaupt so etwas gibt«, murmelte Timozel. Axis packte das Schwert wieder mit der Rechten, und fast wäre es seinen verkrampften Fingern entglitten. Als Belaguez mehr rutschend als gehend vorankam, lehnte er sich im Sattel zurück. Artor, dachte er, wenn wir nicht bald eine geeignete Stelle finden, müssen wir neben diesem schlüpfrigen Pfad übernachten.
Ob uns der Boden dann einfach so verschlingen wird wie die Äxte?
Kaum hatte er diesen Gedanken verscheucht, da sprang Gilberts Roß über ein kleines Hindernis und fand sich auf ebenem Grund wieder. Der Mönch konnte sich dabei nur mit Mühe im Sattel halten. Vorgewarnt preßte Axis die Knie gegen die Seiten seines Hengstes, und schon setzte dieser über den Bach. Gerade noch konnte er den beiden anderen eine Warnung zurufen. Hinter dem Hindernis wurde der Pfad breiter und ebener. Alle vier atmeten erleichtert aus, weil sie sich nun nicht mehr so bedroht fühlten. Gilbert hielt sein Pferd an, damit ein anderer die Führung übernehmen konnte. Axis schob seinen Hengst an ihm vorbei.
»Weiter vorn stehen die Bäume nicht mehr so dicht«, meldete der Mönch. »Dort liegt ein See.«
Wenig später hielten sie am Ufer an und bestaunten einen Anblick, wie sie ihn noch nie zu sehen bekommen hatten. Der Wald senkte sich zu einem fast kreisrunden Gewässer ab und endete unmittelbar am Gestade. Aber nicht die Anlage des Sees versetzte die Reiter so sehr in Verwunderung, sondern das Wasser, das sanftgolden im Licht des Spätnachmittags leuchtete.
Axis wandte sich an den Bruder. »Wußtet Ihr vom Vorhandensein dieses Gewässers?«
Gilbert bewegte langsam den Kopf von links nach rechts, weil er den Blick nicht von dem Naturschauspiel abwenden konnte.
»Der See muß verzaubert sein«, erklärte der Krieger. »Wasser hat nie die Farbe von Gold.«
»Vielleicht ist es ja gar kein Wasser«, bemerkte Timozel leise und machte mit den Fingern das Zeichen des Pflugs, um das Böse abzuwenden.
»Seht nur!« rief Arne und wies mit seinem Schwert nach vorn. »Die verdammte Burg ist dafür verantwortlich.«
Ein Gemäuer erhob sich am Seeufer, dessen hellgelbes Mauerwerk sich im Wasser widerspiegelte. Man hatte die Burg aus glatten, rechteckigen Steinen gut dreißig Schritt hoch erbaut; nur hier und da unterbrachen schmale Fenster die glatten Wände. Auf den ersten Blick wirkte das Gebäude seit langem verlassen.
»Wohlan«, sagte Axis und trieb seinen Hengst an, »dann wollen wir nachsehen, was aus den verlorenen Brüdern geworden ist.«
Die Pferde kämpften sich auf dem unebenen Boden voran, und als die letzten Sonnenstrahlen hinter den Baumwipfeln verschwanden, erreichten sie die Burg. Aus der Nähe betrachtet, sah das Gemäuer noch unbewohnter aus. Den Männern wurde unheimlich zumute. Aber keiner von ihnen wollte die Nacht draußen im Wald verbringen.
Der Axtherr steuerte sein Roß zum versperrten Tor und klopfte dreimal mit dem Schwertgriff an. »Öffnet, im Namen Artors!« rief er. »Wir bedürfen der Stärkung und der Rast!«
Aber nichts tat sich. Gilbert stöhnte leise, und Timozel und Arne sahen sich mit großen Augen an. Axis klopfte noch einmal und lenkte Belaguez ein paar Schritte fort, um an der glatten Wand hinaufschauen zu können.
»So öffnet doch, verdammt!« flüsterte er.
Ein Türchen öffnete sich unvermittelt im Tor, und eine krächzende Stimme fragte: »Was gibt’s?«
Axis spürte eine größere Erleichterung, als er es laut eingestanden hätte. Fast fiel er aus dem Sattel und näherte sich steifbeinig dem Tor.
»Ich bin Axis, der Axtherr der Axtschwinger. Mit mir sind zwei meiner Waffenkameraden, Arne und Timozel, und Bruder Gilbert, Gehilfe und Berater unseres Bruderführers Jayme.« Er hoffte, daß diese Worte für den nötigen Eindruck sorgten.
Zwei argwöhnische Augen musterten die Männer. »Nein, der seid Ihr nicht, und der da ist nicht der Berater des Bruderführers«, erklärte der Pförtner schließlich und schloß vernehmlich das Türchen.
»Was?« Der Krieger hämmerte wütend an das Tor. »Im Namen des Seneschalls, tut uns auf!«
Schon öffnete
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