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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglass Sara
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Ebene. »Mein Sohn!«
    »Niemals!« flüsterte der Krieger und fühlte sich in seinen Alptraum zurückversetzt – nur daß diesmal keine Finsternis alles gnädig verdeckte, sondern daß er seinen Folterer sah. »Du bist nicht mein Vater!« gab er krächzend zurück, und seine Stimme klang vor Furcht heiser.
    Panik bemächtigte sich seiner Seele, und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der wirbelnde und wogende Kopf schien ihn bereits willenlos gemacht zu haben.
    Ogden und Veremund tauchten plötzlich neben dem jungen Krieger auf. 
    »Axis!« schrie der hagere Mönch und stand in den Steigeisen, als er ausholte und dem Mann eine schallende Ohrfeige verpaßte. »Das ist nicht Euer Vater! Nur ein Abbild des Gorgrael, geschaffen aus Wolken und Eis! Axis, hört mich an! Hört nicht auf seine Worte, denn aus seinem Maul kommen nur Lügen!« »So wie jetzt habe ich mich deiner Mutter genähert«, höhnte das Gesicht, und überlange Speichelfäden troffen ihm von der Zunge. »So habe ich mich deiner Mutter gezeigt, und auf der Stelle erwachte in ihr die Leidenschaft. Ja, sie war mir gleich mit Haut und Haaren verfallen, und ihr Leib bebte vor Verlangen nach mir.« 
    Der Axtherr spürte, daß dies das Wesen aus seinen Träumen war, und die Verzweiflung übermannte ihn. Er konnte ihm nicht entfliehen. Niemals würde er ihm entkommen.
    »Axis hört mich einfach nicht!« schrie Veremund seinem Mitbruder zu. »Was sollen wir tun? Wenn er sich nicht beeilt, wird die Wolke ihn überrollen und töten.« Der kleine Mönch dachte angestrengt nach, trieb schließlich seinen Esel so nahe wie möglich an Belaguez heran und stellte sich in die Steigbügel. Mit glühenden Augen schwang er sich auf den Rücken des Pferdes und setzte sich hinter den Krieger. Der Hengst tat einen Satz, als er das zusätzliche Gewicht spürte, aber Axis hielt die Zügel so fest, daß das Pferd den unerwünschten zweiten Reiter nicht abzuwerfen vermochte.
    »Mein Sohn«, flüsterte Ogden dem Krieger ins Ohr, »erinnert Ihr Euch an diese Melodie?« Er summte eine fremdartige, fröhliche Weise, die sich gegen den heulenden Wind behauptete und immer mehr an Deutlichkeit gewann. Irgendwann blinzelte Axis und wandte wie benommen den Kopf nach hinten. Ogden ließ nicht nach mit dem Summen, und seine Stimme wurde immer kräftiger. Als die Klarheit in die Augen des Kriegers zurückkehrte, ließ die Anspannung in den Muskeln des Mönchs etwas nach.
    »Oh!« entfuhr es Axis. Er wandte den Blick von der Erscheinung des Gorgrael und fiel in Ogdens Melodie ein.
    »Ja, wunderbar! Genau das ist die Weise, mein Junge. Singt! Singt mit mir!« Der Krieger stimmte den Text an, und jetzt erkannte Veremund das Lied, einen alten Schutzgesang der Ikarier für ihre Kinder, die noch im Mutterleib steckten. Wenn Axis’ Vater wirklich von den ikarischen Zauberern abstammte, dann mußte das Lied jetzt wie ein mächtiger Bann wirken. Es hieß, dies sei das erste Geschenk ikarischer Väter an ihre Söhne und wohl auch die wertvollste ihrer Gaben gewesen.
    »Singt, Axis!« drängte der Hagere mit Tränen in den Augen. »Hört nicht auf!«
    Und der Krieger schmetterte das Lied so laut, daß er Ogden übertönte. Feuer schien aus seinen Augen zu sprühen, und die Weise übertönte den Sturmwind. Axis sang mit mehr Inbrunst als der Mönch, fügte der Melodie neue Töne hinzu und verlieh ihr deutlich mehr Tiefe. Worte kamen ihm über die Lippen, wie sie niemand im Reich je gehört hatte, und während Ogden nur summen konnte, kannte Axis den Text auswendig. Der Axtherr lächelte breit, so als sei ihm eine uralte Erinnerung ins Gedächtnis zurückgekehrt, und die schiere Freude breitete sich auf seinem Gesicht aus. Noch dazu besaß er eine wunderschöne Singstimme, die jeden Zuhörer zutiefst rührte.
    Veremund stieß einen Triumphschrei aus und drehte sich auf seinem Esel um, damit er die Faust recken und drohend vor dem Riesengesicht schütteln konnte, das sich ihnen immer noch unbarmherzig näherte. »Hat Euer Vater Euch dieses Lied vorgesungen, Ungeliebter?« schrie er. »Hat Euer Vater es Euch vorgetragen, als Ihr noch im Leib Eurer unglücklichen Mutter heranreiftet? Hat Euer Vater Euch genug geliebt, um Euch dieses Geschenk zu machen?«
    Gorgraels Gesicht stieß einen fürchterlichen Wutschrei aus und schwang die Hauer wütend nach rechts und nach links. Im ersten Moment befürchtete Veremund schon, den Zerstörer

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