Unter dem Weltenbaum - 01
angestachelt zu haben, eine stärkere Kostprobe seiner Macht zu geben. Doch als der Schrei erstarb, löste das Haupt sich auf und bildete sich zu einer gewöhnlichen Wolke zurück. Der Sturm aber blieb, raste drohend heran und bildete immer noch eine todbringende Gefahr.
Der hagere Mönch wandte sich wieder seinen Gefährten zu. Sein Mitbruder klammerte sich immer noch an Belaguez fest. »Ogden, Axis! Reitet, als wären sämtliche Dämonen hinter Euch her!«
Der Krieger ließ dem Hengst die Zügel schießen, und das Pferde preschte auf die Grabhügel zu.
»Das war nicht mein Vater«, flüsterte Axis vor sich hin.
Veremund trieb sein Reittier unbarmherzig an, damit es nicht den Anschluß verlor, doch allen voran stürmte Ogdens Esel.
20 Der Sturm
Nur wenige Axtschwinger hatten verfolgen können, was hinter ihnen geschah, und Faraday, ihre Mutter und Timozel blieben völlig ahnungslos.
Die ersten Reiter erreichten gerade die Grabhügel, doch der Sturm schien sie mit doppelter Wucht zu verfolgen. Schwerer Regen prasselte bereits auf den Krieger und die Mönche nieder, und die Reittiere fanden immer weniger Halt auf dem aufgewühlten Boden, den die Pferde der Axtschwinger hinterlassen hatten. Der Wind brüllte über die Ebene, und Axis beugte sich tief über Belaguez’ Hals. Auch Ogden hielt sich nach wie vor auf dem Pferderücken fest. Weil der Hengst doppelte Last tragen mußte, gelang es Veremunds Esel, mit ihnen Schritt zu halten. Nur Ogdens Tier war irgendwo im Unwetter verlorengegangen.
Als Faraday, der junge Offizier, Merlion und die verbliebene Zofe die Grabhügel erreicht hatten, zog Timozel das Pferd des Mädchens auf die regenabgewandte Seite einer der steilen Erhebungen. Der Regen prasselte mittlerweile heftigst auf die uralten Gräber herab. Der Himmel schien alle Schleusen geöffnet zu haben. Jeder Reiter war bis auf die Haut durchnäßt, gleichgültig, ob er einen schweren Mantel aus Robbenhaut trug oder nicht. Männer und Rösser drängten sich an den geschütztesten Stellen, und die Luft war erfüllt vom Brüllen der Soldaten, vom Wiehern der Pferde und von der wachsenden Wucht des Unwetters, das gnadenlos über alles hinwegfegte.
Als Faradays Pferd zum Stehen gebracht war, sah sie sich besorgt um. »Timozel!« schrie sie dann. »Wo bleibt meine Mutter?«
»Steigt ab, Herrin. Wir müssen uns in Sicherheit bringen. Sofort!« Er rutschte von seinem Fuchswallach und stolperte hinter dem Mädchen her.
Aber Faraday zog am Zügel ihres völlig erschöpften Rosses und versuchte vergeblich, es in den Sturm zurückzulenken. »Mutter!« rief sie und hielt verzweifelt nach Merlion Ausschau.
Der Offizier streckte blind die Arme aus, weil der Regen ihm ins Gesicht peitschte, bekam den durchnäßten Mantel des Mädchens zu fassen, fand seine Hüften und riß es höchst ungalant vom Pferd.
»Timozel!« schrie Faraday, versuchte sich von ihm zu befreien, verlor dabei das Gleichgewicht und landete mitten im Schlamm auf den Knien. Ihr Roß preschte völlig verwirrt ins wildeste Getümmel von Menschen und Pferden zurück. Die Katze, deren durchnäßtes Fell stachelartig vom Körper abstand, wollte sich mit ausgefahrenen Krallen in Sicherheit bringen und landete auf Timozels Nacken und Hinterkopf.
»Au!« entfuhr es dem Offizier, ehe er ohne Halt vornüberkippte, auf Faraday landete und sie noch tiefer in den Schlamm drückte.
Doch der Sprung der Katze rettete ihnen vermutlich das Leben. Gerade als Timozel auf Faraday fiel, schoß ein gewaltiger Blitz über den Himmel und fuhr in das Pferd der Edlen, das sich in seiner Panik gerade anschickte, in das Gewitter zurückzurennen.
Der Offizier rollte sich von dem Mädchen und blinzelte durch den Regenschauer. Das Roß lag nur wenige Schritte entfernt reglos vor ihm – ein massiver Speer aus Eis hatte ihm den Schädel gespalten. Während Timozel noch hinstarrte und seinen Augen nicht traute, regneten weitere Eisspeere vom Himmel und suchten sich ihre Opfer. Die Männer und Pferde, die sich noch auf dem freien Gelände zwischen den Grabhügeln aufhielten, bekamen die volle Salve ab.
Timozel packte das Mädchen an den Schultern und zog es aus dem Schlamm. »Faraday, wir müssen weg von hier! So kommt doch endlich!« Er stellte sie auf die Füße, und ihr blieb gerade noch genügend Zeit, die Katze aufzuheben, da zerrte der Offizier sie auch schon zur windgeschützten Seite eines Hügels, der etwa dreißig Schritte entfernt lag. Ihnen folgten die
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