Unter dem Wolfsmond – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
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Kapitel 16
Bis zu meinem Termin im Gerichtsgebäude hatte ich zwei Stunden totzuschlagen, und so spazierte ich die Water Street entlang, in einem Winterlicht, das alles grau und an den Ecken verschwommen aussehen ließ. Der Schnee war naß und schwer. Zehn Minuten Spaziergang, und schon trug ich den Schnee um meine Schultern wie das Umschlagtuch einer alten Frau.
Ich ging in ein kleines Restaurant drüben am Schleusenpark. Natürlich waren die Schleusen jetzt zu, aber es gab gerade soviel Gäste unter den Schneemobilfahrern und den Einheimischen, daß es sich lohnte, das Lokal offenzuhalten. Ich setzte mich in eine Nische mit einer Tasse Kaffee und der Tageszeitung und bestellte Spiegeleier mit Speck und Würstchen und allem, was sie sonst noch auf einen Frühstücksteller laden konnten.
Während ich aufs Essen wartete, rief ich bei Leon zu Hause an und hinterließ eine Nachricht. Zwei Minuten später kam er durch die Tür gestürmt. »Meine Frau hat mich angebeept«, erklärte er. Er atmete schwer, als er sich den Mantel auszog. »Mein Gott, Sie sehen schrecklich aus.«
»Kommen Sie von der Arbeit?« fragte ich.
»Ja, ich kann nicht lange bleiben. Ich wollte nur vorbeischauen und mich erkundigen, was zum Teufel passiert ist.«
Ich erzählte ihm alles, wobei ich mit der Brücke anfing.
»Das war ja ein nettes kleines Geschenk für Sie«, kommentierte er.
»Ein Andenken an unseren Kneipenbesuch. Eigentlich recht aufmerksam von ihnen.«
»Sie hätten Sie ganz schön in die Bredouille bringen können«, meinte er.
»Sie hätten ein volles Gramm in den Wagen legen müssen. Dann hätte ich schön in der Scheiße gesteckt. Aber ich nehme an, daß sie sich von soviel nicht trennen wollten.«
»Ha, da haben Sie vermutlich recht.«
»Wenn Sie sehen, daß zwei Typen mit Jagdkappen hier reinkommen, verstecken Sie sich besser.«
»Und Maven hat Sie wirklich laufenlassen?«
»Um neun Uhr wird die Anzeige zurückgenommen«, sagte ich. »Ich hoffe nur, daß er vorher nicht wieder normal wird.«
»Die Typen waren von der Bundespolizei. Da hätte ich selbst drauf kommen müssen.«
»Ich war mir sicher, daß das die Typen von Molinov waren. Die beiden, von denen Bruckman gesprochen hat.«
»Molinov«, sagte er. Er ließ den Namen eine Zeitlang auf sich wirken, während die Kellnerin mir mein Frühstück servierte.
»Muß ein Russe sein«, sagte ich.
»Muß wohl«, sagte er. »Ich könnte nach ihm suchen.«
»Wo?«
»Ich habe jetzt ’nen Computer«, sagte er. »Das Internet bietet allerhand Möglichkeiten.«
Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ohne Computer kann man in den Neunzigern kein Privatdetektiv mehr sein«, erklärte er. »Oder wenigstens der Partner muß einen haben.«
Ich hielt beim Essen inne und sah ihn an. »Ich habe den Agenten gesagt, Sie seien mein Partner. Und ich hab’s auch so gemeint.«
»Schön zu hören, Alex.«
»Aber das hier ist der einzige Fall, den wir bearbeiten werden«, sagte ich. »Und ich denke, der ist so gut wie vorbei.«
»Wir bilden ein großartiges Team, Alex. Und das wissen Sie auch.«
»Wir sind hier in einer Kleinstadt. Wenn es hier überhaupt Aufträge gibt, dann reicht es völlig aus, wenn Sie die bearbeiten. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Schauen Sie sich doch mal an, was Sie bisher geleistet haben, wie Sie Bruckman gefunden haben. Sie sind der richtige Privatdetektiv, Leon, nicht ich. Ich will es nicht einmal sein.«
»Ich meine, wir sollten ihn noch mal auftreiben«, sagte er. »Zweimal hat er Sie erwischt. Wollen Sie die Scharte nicht auswetzen? Und er könnte noch mehr über diesen Burschen Molinov wissen.«
»Ich glaube nicht, daß wir noch mehr aus ihm rauskriegen. Vielleicht schaffen wir es statt dessen, endlich umgebracht zu werden.«
»Alex, wenn ich zurück muß und den Rest meines Lebens jeden Winter Schneemobile und jeden Sommer Außenbordmotoren verkaufe, dann schwöre ich Ihnen, ich werde wahnsinnig. Halten Sie doch einfach alles einstweilen in der Schwebe, okay? Ein paar Tage abwarten und sehen, was sich tut.«
»In Ordnung, wir werden sehen, was sich tut«, sagte ich. Ich hatte keine Lust zu einer Auseinandersetzung.
»So gefallen Sie mir«, sagte er. »Ich muß zurück zur Arbeit. Wenn ich etwas über Molinov rausfinde, lasse ich es Sie wissen.« Er stand auf, zog den Reißverschluß an seinem Mantel zu und stapfte hinaus. Als er an meinem Fenster vorbeikam, hielt er beide Daumen hoch.
Eine ganze Zeit saß ich da und
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