Unter dem Zwillingsstern
diesmal wirklich auch P ublikum zu sein. Benno Vogel hatte das Stück nie in einem Durchlauf proben können, nur in Einzelszenen, weil er durch die überlan g e Spielz e it d es Hexers in Verzug gekom m en war, und a l s sich der Vorhang der ersten Kleinstadtbühne öffnete, um den Blick auf Robert und den Darsteller des alten Moor freizugeben, versuchte Carla ihn so zu sehen, wie es die Fremden um sie herum taten.
Er war kein Verwandlungskünstler wie W erner Krauß; der junge Mann, der dort oben mit seinem w a r m en Bariton, der einem durch und durch drang, fragte: »Ist Euch auch wohl, Vater?«, war eindeutig derselbe, der als Sträfling Johnny in einer Ecke heru m gelungert und darauf gewartet hatte, daß Mau r ice Messer m it ihm sprach, obwohl Robert m it seiner L i ebe zu dem t r icktechnischen Aspekt des Theaterlebens, der Maske, seine Züge für Franz Moor vergröbert hatte, wo er nur konnte.
»Ich habe ohnehin e i n Gesicht wie ein verdorbenes Baby«, hatte er zu Carla gesagt, »also warum das nicht ausnutzen ? «
Also war der Mund nun geradezu grotesk breit, und die stu m pfe Nase desgleichen. Er m achte k eine Anstalten, s eine Backen einzusaugen, was er für Johnny und Eugene getan hatte Sträflinge und hungernde junge Dichter sollten zu m indest einen Anflug von hohlen Wangen haben -, sondern ließ sie seine Augen, wenn er lächelte, zu boshaften kleinen Schlitzen m achen. Ein verdorbenes Baby, in der Tat.
Doch was einem an d e m Franz dort auf der Bühne ebenfalls sofort auffiel, war Roberts ungeduldige V italität, und das traf die m eisten Leute uner w artet, wurde doch Franz Moor sonst als der schleichende Intrigant im Hintergrund angelegt. D as hatte zu m ehr als ei n em Streit m it Benno Vogel geführt. Es erklärte die leichte D o m inanz über den alten Moor, dessen A k zeptieren de r übertriebensten Lügen; dieser Sohn hatte sich seinen Vater im Grunde schon längst unterworfen und praktizierte ein altvertrautes Ritual, weil er es für sein gutes Recht hielt und weil er es genoß. Das war das zweite, was Roberts Franz auszeichnete; die Freude am Quälen, nicht nur der andern, sondern auch seiner selbst. In seinem ersten Monolog zählte er sich seine Häßlichkeiten langsam auf, genußvoll, sich an der eigenen Rhetorik berauschend. E s war nicht so sehr die Mi m ik wie die Sti mm e, die blitzschnell zwischen Zynis m us, Verachtung, Begeisteru n g über den eigenen Intellekt und d e m unverhohlenen Flirt m it d e m Publiku m , an das er d i e Kaskade d er Schillerschen Fragen ric h tete, hin und her wechselte. Während der Proben erfüllten Carla m anch m al Ressenti m ents deswegen; ein solches Instru m ent zur Verfügung zu haben gab ihm einen ungerechten Vorsprung. Doch jetzt war sie zu gefesselt von dem f a szinierenden Monstru m , das er präsentierte; eine erschla f fte Leere breitete sich in ihr aus, als er die Bühne verließ und Benno Vogel für Karl Moors erste Szene Platz m achte. Sie schaute sich um und entdeckte, daß es ihr nicht als einziger so erging.
Benno Vogel kannte die deutschen P r ovinzen zu gut, um eine m odern-revolutionäre U m deutung der Räuber á la Piscat o r zu riskieren; aber er übernahm einige von dessen regietechnischen Einfällen, so, Herr m ann in einem Teil der Bühne von Franz kostü m ieren zu lassen, um die falsche Nachric h t vom Tode Karls zu überbringen, während gleichzeitig A m alie und der alte Moor bereits in einem Bühnenbereich m itei n ander s p rachen. Das m achte es für Carla sch w erer, sich auf Lina Vogel als A m alie zu konzentrieren, und sie verwünschte Robert, weil er diese Art von Magnetis m us entwickelte. Gleichzeitig wußte sie, daß sie nie zufrieden s e in würde, bevor ihr die Auf m erksa m keit des Publiku m s nicht genau in dem gleichen Maß galt.
Frau Beuren hatte recht gehabt; Lina Vogels Amalie war keine überspannte Heroine, sondern der r u hige Pol zwischen den monologisierenden Schillerhelden um sie herum, je m and, der litt, ohne deswegen schwach zu sein, und dessen gelegentlich zusam m enb r echende Selbstbeherrschung deswegen um so stärker wirkte. Carlas Meinung nach war sie sogar bes s er im edl e n Leiden als ihr Gatte, und nicht nur, weil sie ihr Profil nicht ständ i g einsetzte. Trotzde m , irgend etwas fehlte noch, und Carla brauchte nicht lange, um es für sich zu definieren. In ihrer ersten Konfrontation m it Robert wirkte Lina Vogel m ehr wie eine Mutter, die ihr m i ßrate n es Ki n d tad e lt, als
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