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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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und gar unter einem solchen Hut verschwand.
     
    »Achtzehn Prozent ? « stieß Kät h e fassungslos hervor. »Das sind hundertsieben Sitze!«
    Sie m ußte sich gegen den Schreibtisch lehnen, vor dem sie stand. Für gewöhnlich dachte sie nicht dar a n, daß sie sich bald den Vierzig näherte; ihre Haltung war im m er noch kerzengerade, die wenigen grauen Strähnen m achten ihr nichts aus, und sie fühlte sich nicht anders als m it Anfang Zw a nzig, eher besser, in dem Bewußtsein, etwas Nützlic h es in der W elt zu l e isten. Das er s te B ewußtsein v on Alt e r hatte sie bei der Enttäuschung über Carlas Berufswahl getroffen, weil sie ihr vor Augen führte, daß sie begonnen hatte, einen Teil ihrer Hoffnungen auf eine Jüngere zu übe r tragen. Doch das war nichts im Vergleich zu dem Schlag in die Magengrube, als den sie die endgültige Auszählung der abgegebenen Stim m en e m pfand.
    »Das bedeutet, daß d i e Nazis d i e zweitstärkste Fra k tion im Reichstag sind«, hielt der Mann, der i h r das m itgeteilt hatte, nüchtern fest. »Nicht schlecht, wenn m an überlegt, daß sie vor der Wahl nur zwölf Abgeordnete stellten. Und Brüning hat im m er noch keine Mehrheit für die R e gierungsparteien.«
    Etwas von Käthes Kampfgeist kehrte zurück. » W enigstens etwas Gutes«, antwortete sie e rzürnt. »Das ist alles seine Schuld. E r hat den Reichstag verfassungswidrig aufgelöst, nur um sich eine Mehrheit zu verschaffen, er hat den Wahlka m pf ausschließlich gegen die Linksparteien geführt und die Sozialde m okratie als verfassungsfeindlich hingestellt. Je eher der Mann geht, desto besser.«
    »Ja, nur wer kom m t danach ? «
    »Die SPD muß m it d e r KPD eine Koalition b ilden«, sa gt e Käthe und begann, sich Notizen zu m ach e n, »und endlich aufhören, sich bei der Schwerindustrie anzubiedern. Ge m eins a m können sie die Republik retten.«
    »Neh m en S i e’s m i r nicht übel, Fräulein Brod, aber an dem Tag, an dem Hindenburg einen Kanzler ern e nnt, der einem Linkskabinett vorsitzt, lernen die Schweine W a l zer tanzen. W e nn Sie m i ch fragen, der Alte wi r d weiter ei n en Kanzler m it Artikel 48 regieren lassen, ob nun Brüning oder sonst w en.«
    Sie wollte widers p reche n , doch ihr Verstand s agte ihr, daß er recht hatte. Das kam davon, wenn m an das A m t des Reichspräsidenten m it dera r tigen Voll m achten aust a tt e te und anschließend einen überzeugten Monarchisten zum Präsidenten wählte. Nach der nächsten Revolution m ußte die Republik von solchen Makeln in der Verfassung befreit werden. Im m e r hin, entgegen ihrer Befürchtung hatten die Nazis die G unst der Stunde nicht zu einem neuen Putschversuch genutzt, und das ließ Käthe hoffen, bis s i e sich sagte, daß Hitler wohl m ittlerweile da m it rechnete, auf l e giti m e Art und Weise an die Macht zu kommen.
    Ihr großer Coup an diesem Tag w a r, ein Interview m it dem ko m munistisc he n Reichsta g sabgeordn e ten W illi M ünzenberg z u erg a ttern, den m anche m i t tlerweile den »linken Hugenberg« nannten, wo m it sie ü bert r ieben. W illi Mün z enb e rg ko n trollie r te ei n en Teil d e r linken Medien, doch m it dem I m p e rium des deutschnationalen Hugenberg, zu dem Verlage, Zeitungen und seit drei Jahren auch die UFA zählten, ließ sich das nicht v e rgleichen. Münzenberg gab sich gelassen und opti m istisch. Er wies sie darauf hin, daß auch die Kommunisten einen erheblichen Zuwachs an Sitzen verbuchen konnten, gestand allerdings ein, daß m a n die Gewerkschaften vernachlässigt habe, was zu den nationalsozialistischen Zellenbildungen in den Betrieben geführt hätte.
    »Besteht eine Möglichkeit, daß die Partei ihre Taktik gegenüber der SPD ändert ? « erkundigte sich Käthe hoffnungsvoll. »Ganz besonders kritische Situationen, so wie die jetzige, erlau b en doch sicher ge m eins a m e Abweh r m a ßnah m en, auch wenn…«
    W illi Mün z enberg s ch ü tt e lte be r eits m ißbillige n d den Kop f , noch ehe sie zu Ende gesprochen hatte. »Nein, nein, nein. Die SPD ist keine sozialistische Partei m eh r . Sie hat uns aus Konkurrenzgründen schon im m e r viel wütender verfolgt als die Faschisten. Die Organisierung der werktätigen Massen bei den kom m enden W i rtschaftskä m p fen muß Aufgabe der KPD sein. Für die abgewirtschaftete und indolente SPD-Bürokratie gibt es nur eins: abtreten!«
    Es war nicht ihre Au f gabe als Jour n ali s tin, m it ihrem Gesprächspartner zu streiten, also

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