Unter dem Zwillingsstern
verbot zurückzuschreien? Außerdem w a r der Sommernachtstraum ihr erstes Stück überhaupt gewesen; es brachte ihr Glück.
»Helena«, sagte Frau B euren, m it der Carla zusätzlich zu den regulären P r oben an ihrer R olle studierte, und klopfte m it dem Zeigefinger auf das Bühnen m anuskript m it Reinhardts Streichungen, das Carla ihr gebracht hatte. »Eine echte Herausforderung, denn Sie wissen natürlich, mein Kind, daß Her m ia die angeneh m ere Rolle ist, die fröhliche, glückliche Liebende. Ganz zu schweigen davon, daß bei Max ohnehin die Elfen im Mittelp u nkt stehen. W ie sehen Sie Helena ? «
»Als Masochistin«, erwiderte Carla sofort.
Renate Beuren schnalzte m it d e r Zunge. »Das dachte ich m i r. Sie würden natürlich nie hinter einem ungetreuen Mann herlaufen ? «
»Nein, ganz bestim m t nicht.«
»H m . W i r haben noch viel Arbeit vor uns. Jeder Mensch hat von jedem Gefühl einen Teil in sich; m a n m uß ihn nur finden.«
Natürlich kannte Carla eine ganze Menge Frauen, die hinter untreuen Männern herliefen und sich von ihnen alles gefallen ließen.
Lilli war nur das jüngste Beispiel und ihre Schwester Marianne das sch m erzhafteste. Doch der Sommernachtstrau m , von Reinhardt inszeniert, war eine Komödie, kein psychologischer Abgrund. Carla brauchte einige Zeit, bis sie eine Form für ihre Helena fand, die zu dem Stück paßte. Helena an Mari a nne anzule h nen brachte sie nic h t fertig; und Lilli erschien ihr zu wenig intelligent. Helena war sich über die Torheit ihres Handelns durchaus im klaren.
»Dem schlechtsten Ding an Art und an Gehalt/ Leiht Lie b e dennoch Ansehn und Gestalt./ Sie sie h t mit dem Gemüt, nicht mit den Augen,/ Und ihr Gemüt kann nie zum Urteil taugen«, dekla m ierte Carla, einmal bitter, ein m al resign i ert, doch nichts davon paßte. Ihre Inspiration kam in Gestalt einer glamourösen Besucherin, einer dunkelhaarigen Schönheit, die den P r oben beiwohnte und Max Reinhardt nicht aus den Augen ließ. Da er für diese Aufführung bewußt junge Schauspi e l er ausgewählt hatte st a tt der Stars seines Ense m bles, kannten sie die anderen ebensowenig wie Carla, bi s sie ihnen während einer Pause als Eleonore von Mendelssohn vorgestellt wurde.
»Eleonore!« rief Renate Beuren aus, die in solchen Fällen immer noch Carlas beste Auskunftsquelle war. »Nun, sie ist eine von den Mendelssohns«, sie lächelte, »sozusagen m it der Musik verwandt, die Max bei seinem Sommernachtstraum so exzessiv ei n setzt. Ihre Mutt e r war die Piani s tin Guilietta Gordigliani, ihre Patin die Düse, aber der Grund, warum sie selbst gelegentlich schauspielert, liegt schlicht und einfach darin, daß sie sich schon als Mädchen hoffnungslos in Reinhardt verliebt hat. Die hartnäckigste Rivalin, die Helene Thi m ig je hatte außerhalb der Bühne, verst e ht sich. Auf der Bühne ist E l eonore in Einzelfäl l en sehenswert, wie im letzten Ödipus, wo sie die Antigo n e spielte, a b er sie hat einfach keine Disziplin. Das Morphiu m , m eine Liebe. Sie ist süchtig, und da der gute Max jede Art von Drogen verabscheut, gebe ich ihr keine reelle Chance, die Thi m ig je zu ersetzen, sei es in Leopoldskron oder im Deutschen Theater. Andererseits, bei ihrem Aussehen und ihrer Hartnäckigkeit wird sie die letzten zehn Jahre n i cht ganz und gar ergebnislos gesch m achtet haben.«
Eleonore von Mendelssohn war gerade von einer Reise zurückgekehrt und brachte den Sommernachtstraum-Schauspielern kleine Geschenke m it; ein m al ers e t z te s ie den Kla v i e rspi e ler, der anstelle des für die Aufführungen geplanten Orchesters die Bühnen m usik spielte, und zeigte dabei ein T al e nt, das Carla groß genug für einen Konzertsaal erschien. Warum war Eleonore nicht wie ihre Mutter Pianistin geworden, statt sich als G elegenheitsschauspielerin zu verzettel n ? Die fieberhafte Fröhlich k eit, die sie zeigte, rührte mu t m aßlich von dem Morphium her; obwohl Carla i mm er gehört hatte, diese spezielle Droge m ache lethargi s ch. Doch die Intensität, in der sie alles tat, und sei es nur, ruhig dazusitzen und Max Reinhardt auf der Bühne zu beobachten, w i rkte nicht künstlich, sondern wie der eigentliche Ausdruck ihres W esens. W enn sie in den Pausen m it den Ense m bl e m itgliedern redete, zeigte sie Char m e und echtes Interesse; ganz nebenbei stellte sich heraus, daß sie vier S prachen fließend beherrschte. S i e war Carla ein Rätsel. Eine kluge, schöne, reiche, gebildete
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