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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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durchgegangen waren und die in die wartenden Karossen der Kirchgänger hineinraste. Carla hatte ihm erzählt, daß Genevieve Beres f ords letzter Film ein W ildweststreifen gewesen war, und m an m erkte es; sich aus einem ganz anderen Genre Mittel auszuborgen gefiel ih m . Warum nicht ein paar durchgehende Pferde in einem Fi l m , wo eine Imit a tion d e r stati s chen Bilder von Murnaus Nosferatu erwartet wurde?
    Lauras Verlobter und einige der S t atisten liefen zu der gekippten Kutsche und öffneten den eingedrückten W agenschlag. Man sah nichts von der Passagierin, die von den Helfern herausgezogen wurde; die Ka m era zog sich zu Lauras Standpunkt zurück und näherte sich m it i h r wieder dem Kreis aus über d er K utsche g ebeugten Rücken an. Dann teilte sich der Ring der U m stehenden, und m an sah m it Laura die Gestalt, die sich langsam aus den A r m en ihrer S a m ariter löste; ein Mädchen, dessen lange Haare aus dem gleichen sa m tigen Dunkel ge m acht zu sein schienen wie das altmodische Ballkleid, das es trug. Es war eine Einführung, dachte Robert anerkennend, wie m an sie nicht besser ersinnen konnte, und plötzlich wünschte er sich, er hätte sie Carla geben können. Ihr Gesicht in Großaufnah m e zu sehen war eine Offenb a rung, weil es sich subtil, aber wirkungsvoll von dem G e sicht u n ter s chied, das er kannte. Car m illa hatte k eine von Carlas leichten Unregel m äßigkeiten, und selbst ihr größtes Manko, ihre Kurzsichtigkeit, die ihr bei den ersten P r oben für ein Stück i mm er zu schaffen m achte, sorgte h i er für einen unwirklich fre m den Blick; Car m illas Augen ver m ittelten den Eindr u ck, als säh e n sie i mm er etwas mehr, als d em Zuschauer g ezei g t wur d e.
    Die Fragilität und Schutzbedürft i gkeit, die Dolores Mannheim ausstrahlte, paßte genau zur Rolle. R obert gestand sich ein, voreingenom m en zu sein, doch ihm war D o lores heute nicht weniger fragil erschienen, und er fragte sich, ob sie überhaupt einen anderen Typ spielen konnte. Mit dem Fortschreiten des Fil m s wurde s i e in m ehr als einem Sinn zu Ca r m i llas Opfer. Carlas Carmilla, bei der sich hinter einem unschuldigen jungen Mädch e n m ehr und m ehr ein altersloses, hungriges Geschöpf hervorarbeitete, das verführte, um z u töten, war das Herz des Fil m s. Dabei ging die Regie behutsam m i t der Art der Bezieh u ng zwischen Laura und Car m illa um; nur an ei n er einzigen Stelle kam es zu einem direkten Kuß. Er folgte auf eine Szene, die Roberts Meinung nach zu den erschreckendsten gehörte, obwohl in ihr nie m and verwundet oder get ö tet wurde. Car m illa sah ein Porträt von sich zu Lebzeiten, als Gräfin Mircalla von Karnstein. Aus Carlas Zügen wich nach und nach aller Ausdruck, während sie das Porträt anstarrte, und Robert grübelte erst viel später darüber nach, ob der Effekt durch Veränderung der Beleuchtung, Maske oder Schauspielver m ögen erzielt worden w a r; als er e s sah, war er zu ge f esselt. Ca r m illa verst e ine r te, bis d as Port r ät lebendig e r a ussah als sie, und einen kurzen Mo m ent lang schien es, als ob sich die Augen des Porträts bewegten. Durch d a s Publikum ging ein fühlbarer Schauer. Dann legte Laura Car m il l a die Hand auf die Schulter, und der Film wurde zum er sten und l e tzten Mal explizit, als Car m illa Laura ergriff und auf den Mund küßte; die Kamera zog sich diskret zurück, während Leben und Bewegung in Car m i llas Gesicht zurückkehrten.
    Die Todesszene war die einzi g e, d i e Robert e n ttäuschte, ab e r das m achte ihn gar nicht so unglücklich. Er betrachtete Todesszenen als seine Spezialität, und daß Carla a l s Desde m ona eindrucksvoller gestorben war als hier, wo entweder Genevieve oder die a m erikanische Fil m konvention bestimmten, daß m a n sie nur ein m al kurz schreien hörte und dann wieder nur, wie bei ihrer Einführung, die Rücken der sie u m geb e nden Männer sah, war irgendwie befriedigend. Er wußte schon genau, wie er Carla wirklich eindrucksvoll auf der L einwand sterben lassen würde.
    Aber diese kleine Einschränkung h i elt ihn nicht davon ab, m it den anderen au f zustehen und wie beses s en zu applaudieren, als Genevieve, Paul Kohner und die Hauptdarsteller vor die Leinwand traten, um sich zu verbeugen. Carla sah m it ihrem natürlichen roten Haar, in dem heute ein Diadem steckte, das ihr Pony zurückhielt, wie eine eigenartige Mischung aus sich s e lbst und ihrem Leinwandkonterfei aus. Robert

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