Unter dem Zwillingsstern
leisten können. Ich dachte, ich würde sterben. Im nachhinein wird m i r die Ab s urdität dieser Vorstellung bewußt, aber zu diesem Zeitpunkt war ich nicht unbedingt in der Lage, rational zu denken. Ich bin bereits ein m al fast gestorben, und da m als gab es eine Menge… unerledigter Dinge. Ich fürchte, d i ese Erfahrung hat m ein Verhalten beeinflußt.«
Da m it hatten sie ihre Plätze erreicht. Paul Kohner drehte sich zu ihr um und m a chte einen Kom m entar, den Carla nicht verstand; sie lächelte auto m atisch und nickte, während ihr erstarrter Verstand zu begreifen versuchte, was Philipp ihr da gera d e m itget e ilt hatte. Er hatte sie s e hen wollen, weil er dachte, er stürbe? Das konnte nicht stim m en. In ihrer Erinnerung hörte sie seine spöttische Stimme sagen: »Rührend.«
Er log. Aber waru m ? Er mußte doch wissen, daß diese Lüge fast so klang wie… Dann fiel ihr wieder e i n, wie er ihr von Mariannes Phanto m kind erzählt und ihr Mitleid g eweckt h a tte, e in Mitl e id, d as l e tztendlich nur dem Zweck diente, endlich seinen W illen bei ihr durchzusetzen.
Bittere Enttäuschung sch m eckte w i e Asche in ihrem Mund. Er log, um den Status quo wiederherzust e llen, das war der Grund. E r kannte sie inzwischen zu gut, um nicht zu wissen, daß die Offenb a rung von Verwundbarkeit sie empfänglich m achte. W i e sie es tausend m al beim Drehen getan hatte, glättete si e den Reifrock, ehe s i e sich in den Sitz hineinquetschte, und schaute starr geradeaus auf die breite weiße Leinwand. W i e dum m , auch nur einen Mo m ent g e glaubt zu haben, Philipp der Hai könnte sich ihr zuliebe endgültig in ein m enschliches W esen verwandeln.
Trotzde m … Er hatte einen dritt e n Weg gefunden und sie wieder von ihrer klaren Entscheidung abgebracht. E r hatte sich weder entschuldigt, noch war er gehässig g e worden. »Wir lügen alle, Honey«, hatte Genevieve während der Ab s c hiedsfeier in B a m berg gesagt,
»und wir verkaufen den Menschen diese Lügen. Nur wie gut oder schlecht sie sind, das liegt bei uns.«
Warum Philipp Vorwürfe m achen, weil er ihr eine angeneh m e Lüge als Versöhnungsgeschenk präsenti e rte, die ihn im m erhin etwas anderes als Geld gekostet hatte? Der Status quo also, dachte Carla, drehte den Kopf zur Seite und ließ sich von seinen schwarzen Aug e n einfangen. W i eder hatte sie das eig e ntü m liche Ge f ühl, m it ihm allein in einem Universum zu sein, aus dem selbst das Licht der Sterne verschwand, verschluckt von der immer tieferen Dunkelheit. Kein neuer Anfang und kein klarer Bruch. Der Status quo.
Robert u n t e rhi e lt sich n och re g e m it Tim Berg e r, a ls d e r Film anfing. Von dem berüh m t esten Ka m e ra m ann nach Karl Freund das Angebot seiner Mitarbeit zu bekom m en war e i n Geschenk, das selbst ein Opti m ist wie er nicht erwartet hatte.
»Ganz ehrlich«, sagte er in einem ungewohnten Anfall von Bescheiden h eit zu Berg e r, »ich weiß a bsolut n ic h ts vom Fil m . Aber ich lerne.«
»Tja, das möchte ich auch«, entgegnete Berger ge m ütlich, »und wenn m an s o weit ist wie ich, dann kann m an nur noch durch einen Regisseur lernen, der nichts weiß und noch nicht durch Kompro m isse m it der Realität gehandikapt ist. E rstaunen S i e m i ch!«
Roberts Augen funkelten. »Darauf können Sie sich verlassen!«
Er war darauf vorbereitet, den Film zu m ögen, weil es Carlas Leinwanddebüt war. Er war nicht darauf vorbereitet, hingerissen zu werden. Bereits die Eingangsbilder zeigten, daß Tim Bergers Angebot unbedingt angenom m en werden m ußte, koste es, was es wolle. Er hatte nur noch sehr schwache Erinnerungen an B a m berg und die ersten Jahre seiner Kindheit, ehe seine Mutter den U m zug nach München durch g esetzt hatte; die Art, wie die Ka m era hier den Dom ins Bild set z te, als koste s ie jedes D e tail der gotisch-ro m anischen Eben m äßigkeit aus, um dann auf die kantigen Gesichter der aus der Abend m esse strö m enden Bevölkerung überzugehen und sie ebenfalls gotisch wirken zu lassen, schuf eine neue, fil m eigene W elt und ließ ihn bezweifeln, die Stadt je gesehen zu haben. Dann gerieten Dolores Mannheim als Laura mit ihrem V a ter und Verlobten in den Fokus, und er bemerkte, daß L aura als der bleiche, helle Mittelpunkt einer dunklen Menge gestaltet worden war; m an verlor sie auch nicht aus dem Auge, als die Ka m era zur ü ckwich, um den Sonnenuntergang und die Kutsche zu zeigen, deren Pferde
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