Unter dem Zwillingsstern
Ich würde ihn lieber im Gefängnis sehen, als so weiterzu m a c hen, wie ich in den letzten Monaten gelebt habe. An dem Tag, wo du dieses Land verläßt, werde ich eine Feier geben, und wenn es uns unsere letzten Ersparnisse kostet.«
»Du solltest dich nicht s o echauffie r en«, entge g nete Carla, f est e n tschlossen, sich dies m al nicht prov o zieren zu lassen, kalt. »D enk an das Kind.«
»Das tue ich. Die ganze Zeit. Und das wird uns auch retten, nicht du. Mein Onkel ist Abgeordneter bei der DNVP. Er m ag m e ine Ehe m ißbilligen, aber er wü r de nie zul as sen, daß ein Antwol f en m it d e m Makel des G efängnisses…«
»All m ächtiger«, sagte Carla und ging.
Zu m i ndest hatte Kathi ihr Verspre c hen gehalten und befand sich in der Schweiz. Ob sie dort bleiben würde, war eine andere F r age. In dem Telegramm, das sie geschickt hatte, hieß es, sie habe nur ein Besuchervisum bekommen.
Durch die S t raßen von Berlin zu s p azieren, nun, da sie wußte, daß sie es für zwei Jahre nicht wieder s ehen würde, war eigenartig. Am H i m m el zogen sich Wolken zusammen; vielleicht wür d e es später am Tag no c h regnen. Überall lagen Überbleibsel von den U m zügen der letzten Tage, Bierflaschen, alte Transparente; die Straßenkehrer ka m en m it dem W egräu m en kaum m ehr nach. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit m it München nach d e m Fasching, am Asche r m ittwoch, aber dieser Fasching ging weiter; die Zahl der SA- und SS-Männer schien sich vervielfacht zu haben. Möglic h erweise war es auch nur so, daß ein Teil der ü b rigen Einwohner fehlte; s ä m tlichen kom m unistischen, sozialistischen oder sozialde m okratischen Vereinigungen war ein Demonstrationsverbot erteilt worden.
Merkwürdi g , wie ei n em Irrele v antes in den Sinn kam und nicht m ehr loslie ß . Sie erin n erte s ich an etwas, das sie in Ba m berg gegessen hatte, ein sic h elför m iges Blätterteiggebäck, das sich »Hörnla« nannte. Bestim m t würde es das in A m erika nicht geben, aber vielleicht in einer der großen Bäckereien hier. E i gentlich hatte sie keinen Hunger m e hr, es war m ehr ein nagender Appetit und der W unsch, sich in d ie anstren g en d en, aber g lücklichen Drehtage in der kleinen oberfränkischen Stadt zurückzuversetzen.
Aber als sie zu der Bäckerei Müller ka m , standen zwei SA - Männer davor und hielten ein Schild hoch, auf d e m stand: D EUTSC H E W E HRT E UCH K A U F T NICHT BEI J UDEN , und die Verkäufer waren gerade dabei, die Jalousien zuzuziehen.
» W ir wollen keinen Ärger«, erklärte einer auf Carlas Frage hin. Ein ander e r m ur m elte: »Es ist illeg a l, u n d wir sollte n …«
»Ruhig bleiben. Der C hef ist schon zum Polizeikom m i ssariat gegangen. Morgen sind die Kerle wieder weg. Warum eine Schlägerei riskiere n ?«
»Saujuden«, höhnte einer der SA- M änner. »Kneifen den Schwanz ein, sowie m an ihnen die Faust zeigt.«
Zwei der V erkäufer w o llten auffahren, aber derjenige, der zuerst m it Carla gesprochen h atte und offenbar der leitende Angestell t e war, hob beruhigend die Hand. » W ir h a ben es alle gehört«, entgegnete er, »und wenn die Sache vor Gericht kom m t , wird das für Sie nicht billig. Aber wir werden uns nicht auf Ihr Niveau begeben.«
Eleonore war in Österreich und Nina zu ihrer großen Erleichterung wieder b eim Schillertheater. I h re anderen F r eunde zu besuchen brachte im wesentlichen das gleic h e Ergebnis; m an tauschte nervöse Spekulationen über die Zukunft aus und versuchte, so opti m istisch wie m öglich zu sein. Schlie ß lich l i eß sich nicht länger aufschieben, worum Carla sich durch Spaziergänge und Besuche gedrückt hatte. Der Ter m in, den sie m it ihrer Ärztin verein b art h atte, w a r da.
»Tja«, sagte Verena Scheuerle, nac h dem sie Carla unters u c h t und ihr einige F r agen gestellt hatte. » D a gibt’s keinen Zweifel. Sie sind schwanger.«
Es gab noch nicht viele praktiz i erende Ärztinnen, aber im gynäkologischen Bereich waren die Vorurteile leic h t er abzubauen als in anderen, weil viele Leute spontan H e bam m en assoziierten und einige Männer, selbst wenn sie Frauen für nicht ebenbürtig hielten, ihre Gattinnen doch lieber von einer Är z tin statt von einem Arzt untersuchen ließen. Trotzdem war Dr. Sc h euerle dan k bar für jede Patie n ti n ; sie m ochte die m eisten, und als sie Carlas erstarrtes Gesicht sah, tat ihr die junge Frau leid.
»Ich weiß, daß Sie nicht verheiratet
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