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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte.
    »Hier, ni m m «, sagte sie, und er hielt das kleine Stück Licht in der Hand und s pürte, wie sich ihr die glim m ende Flamme schnell näherte. Carla legte ihr Bündel auf den Boden neben sich und schlug es auseinander. Er ver m utete, daß sie die Puppen beerdigen wollte, aber ehe die kleine Flamme seine Finger erreichte und er das Streichholz hastig fallen ließ, sah er, daß sie die kopflose ledig l ich aufrecht hinsetzte. Dann drückte sie ihm die Streichholzschachtel in die Hand.
    Während Schwefel auf Schwefel rieb, konnte Robert erkennen, d a ß sie die zweite Puppe in die Hand nahm und direkt über ihrem linken Knie hielt. Das nächste Streichholz brannte, und er hörte sie etwas mu r m eln, das er nicht verstand. Ihre rechte Hand umfaßte den Kopf der Puppe. Mit einem plötzlichen Ruck schlug sie das Spielzeug auf ihr Knie und brach ihm den Kopf a b. Das Geräusch des splitternden Porzellans ließ Robert zusam m e n zucken; er verl o r das zweite Streichholz.
    »Hast du Angst ? «
    »Nein«, antwortete er nicht ganz wahrheitsge m äß. »Aber was hast du vorhin gesagt ? «
    »Hci edrew sla m ein netarieh. D a s ist ein altä g yptischer Fluch«, fuhr sie fort und neigte sich zu ih m , bis sie fast in sein Ohr flüsterte.
    »Geh lieber, solange du noch kannst.«
    Ihr bedrohliches Flüstern war s e hr wirkungsvoll, aber bei der W i ederholung hatte Robert erfaßt, wie ihr Fluch zustande ka m , und zufrieden, wieder die Oberhand gewonnen zu haben, konterte er:
    »Rew edrüw hcid nohcs netarieh n e llo w ? Ud tsgnirb aj hcon thcin la m nie enie githcir erewhcs ehcarps m ieheg ednatsuz!«
    Rückwärts zu sprechen war n icht weiter sch w er, wenn m an den Dreh erst ein m al heraushatte, und er konnte endlos so weiter m achen. Es erwies sich jedoch als unnötig. E r wollte das nächste Streichholz anzünden, doch Carla hielt seine Hand fest.
    »Laß nur«, sagte sie m it ein e r Mischung aus Verärgerung, widerwilli g em Respekt und n och etwas a ndere m . »Für das näc h ste b rauchen wir kein Licht.« Sie führte seine Hand auf die schwere, feuchte Erde des Beetes. »Du bist doch so gut im Zeichnen, da weißt du sicher, wie m an einen Mann aus Lehm fo r m t.«
    Die beiden Puppen thronten kaum noch erkennbar auf dem Tuch; lediglich ihre kopflosen Hälse sch i m m erten weiß in der Dunkelheit. Aber Robert beachtete sie nic h t m ehr; er h ö rte sein Blut in de n Ohren rauschen, schaute zu Carla und dachte, daß er deswegen hiergeblieben war. F r äulein Brod m it all ihrem Bücherwissen argwöhnte i mm er noch nicht, was Heinrich Fehr getan hatte, doch Robert wußte es seit der Szene im Salon. Und er b e griff, daß Carla nicht nur verstehen würde; er konnte ihr gegenüber sagen, was er noch nie ausgesprochen hatte.
    »Oh, ich weiß es.«
    Sie schauten einander noch einen Mo m ent an, dann begannen sie, die Erde zu kneten. Sie fühlte sich nicht kühl an, sondern warm, und Robert fragte sich, ob das an dem langen Som m ertag lag, bis er darauf k a m , daß seine eigenen Finger kalt waren.
    »Sie dachten, ich würde es nicht be m erken«, sagte er, während er den Lehm rollte und rieb. »Sie haben es beide getan. W enn er genug getrunken hat, redet Papa m anch m al davon. Dada hat ihm das Mittel verschafft, aber Papa hat es ihr gegeben.«
    »Ich habe gesehen, wie sie sich gestritten haben«, flüsterte Carla.
    » W ie sie gefallen ist. A ber ich eri n nere m i ch m anch m al an Sachen, die ich nur geträu m t habe, und ich d achte, vielleicht war das auch nur ein böser Tr au m . Oder ein Unfall. Bis heute.«
    Während seine Hände zwei Köp f e für die Leh m figur schufen, mu r m elte Robert: »Sie sagen sich ständig, sie hätten es ihretwegen getan. W eil sie solche S ch m erzen h a tte. Aber sie haben sie nicht gefragt. Ich w eiß es ge n a u . Sie wollte weiterleben. Sie hätte mich nic h t allein gelassen.«
    »Sie m üssen bestraft werden.«
    Carla stand auf, und Robert erhob s i ch ebenfalls. Mittlerweile hatten sich ihre Augen an das Dunk e l gewöhnt, und das Licht des Halb m onds half etwas; sie konnten die gekneteten Figuren auf d e m Boden erkennen, eine dünn und zweiköpfig, eine dick und groß. Auf ihre W eise waren sie ebenso unnatürlich wie die kopflosen Puppen, die ihnen wie Richter gegenübersaßen. Robert stellte fest, daß er Carlas erdv e rs c h m ierte Hand in d er seinen hi e lt. I h r Gri f f war sehr f est, doch er spürte, wie sie zitterte. Oder tat er e s ? Etwas, das

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