Unter dem Zwillingsstern
»Verräter« hingerichtet worden waren. Er erinnerte sich, w ie er und C arla sich Schreckgeschichten darüber erzäh l t h a tten, an seinen Är ge r, als s ie ihn »naiv« nannte. Aber in welchem Zus a mm e nhang konnte das alles m it Carlas Stief m utter stehen? Es war schon schwer genug, zu glauben, daß Dada Gold m anns Kollege aus dem Krankenhaus, der vor kurzem verschwunden war, ein Kom m uni s t gewesen sein sollte, aber die dum m e kleine Anni wußte bestim m t noch nicht ein m al, wie m an »Kommunismus« buchstabierte. Da war Fräulein Brod schon eine sehr viel wahrscheinlichere Kandidatin.
» W ie es sc h eint«, f uhr Fräul e in Brod fort, »war Frau Fehr in Begleitung eines Herrn, der von einem solchen«, Abscheu schlich sich in ihre Sti mm e, »Femegeric h t entführt und umgebracht wurde. Sie wollten wo h l keine Zeu g in am Leben lassen.«
Carla rührte sich noch immer nicht, und Fräulein Brod biß si ch auf die Lippen. Sie wußte offenbar nicht, was sie tun sollte. Robert dachte an d ie N acht, in der seine Mutter gestorben war, als jeder m ann darauf wartete, daß er endlich weinte. Er hatte es gehaßt, von Papa und von D a da Gold m ann beobachtet zu werden, wenn sie dachten, er würde es nicht be m erken; es war eigentlich leichter gewesen, sie selbst weinen zu sehen. Er erinnerte sich an die wiederholt e n U m armungen, gleichzeitig erstickend und tröstlich. Fräulein B r od legte Carla jetzt etwas ungeschickt die Hände auf die Schultern, und Robert begriff, daß sie Carla in den Jahren ihres Unterrichts n i e über ein Händeschütteln hinaus b erührt h a tte. W arum sollte sie auc h ? Sie war schließlich n ur zum Ve r m itteln von W i ssen da.
Carla gab durch nichts zu erkennen, ob ihr die Berührung tröstend oder unangenehm war, aber sie hob den Kopf und schaute an Fräulein Brod vorbei zur Tür. W ährend ihres Ausbruchs m ußte d a s Haarband aus i h rem Zopf, d e r sich schon im Laufe des Nach m ittags gelockert hatte, herabgeglitten sein. I h r rotes Haar, das sich aus dem geflochtenen Halt löste, u m gab sie wie eine widerspenstige kleine Wolke. Durch die Brille, die leicht schief auf i h rer Nase saß, sah sie aus wie ein widerspenstiger kleiner Kobold, aber dazu paßte ihre ausdruckslose Miene ganz und gar nicht. W as sie dann sagte, ergab keinen direkten Zusammenhang m it Fräulein Brods Mitteilung.
»Ich werde nie m als heiraten.«
»Oh«, sagte Fräulein Brod und klang gleichzeitig verwirrt und ratlos, während für Robert alles in ein blendendes Lic h t getaucht war.
»Nun, das steht dir frei. Carla, wenn du über…«
Carla trat einen Schritt zurü c k. »Vielen Dank, Fräulein Brod«, unterbrach sie, und ihre distanzierte Höflichkeit war nicht weniger erschreckend als ihr Aus b ruch im kleinen Salon. »Es ist schon spät und an der Zeit, zu Bett zu gehen. Könnten wir nicht m orgen über m eine Aufgaben spreche n ?«
»Gewiß«, erwiderte Käthe Brod und wünschte sich zum ersten Mal, etwas von der i m pulsiven, gutm ü tigen Art ihrer Mutter zu haben.
Erneut flackerte Abneigung gegen Anni Fehr in ihr auf, ver m ischt m it Schuldbewußtsein. Über die Tot e n nur Gutes, aber daß die spatzenhirnige Anni es fertiggebracht hatte, sich w ährend eines Seitensprungs von ein paar F anatikern umbringen zu lassen, war… Beschä m t gestand sie sich ein, daß s i e Annis Tod als ungerecht für sich selbst e m pf a nd, als störend und lästig. Die Furcht vor den Fe m e morden in der l e tzten Zeit h a tte nä m li c h endlich nicht m ehr soviel gewogen wie ihre Scham darüber, bei einem Kriegsgewinnler ihren Lebensunterhalt zu verdienen, bei dem m ehrere der schlim m sten Reaktionäre aus und ein gingen, einschli e ßlich des neuen Polizeichefs, der m i ndestens drei ihrer F r eunde auf dem Gewissen hatte. G erade an dem Tag, a n d e m sie ihre Kündigung einreichen wollte, mußte so etwas passieren und ihr zeigen, daß sie, trotz aller guten Vorsätze, in ihrer Schülerin nur den Broterwerb zu sehen, nicht m ehr kündigen konnte.
Seit sie Carla schr e ien g ehört h a tt e , wußte sie, d aß sie d i e Vorstellung, das Mädchen allein in diesem Haus zu w i ssen, nicht ertragen würde. Herr Fehr, der auf den Tod seiner jungen Frau und dessen de m ütigende U m stände m it einer Mischung aus Tränen und Beschi m pfungen reagiert hatte, die s e lbst ins nächste Stockwerk drangen, war kaum eine Hilfe für das K i nd, das er selbst in den besten Zeiten ab w echselnd
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