Unter dem Zwillingsstern
geröteten Augen waren eindeutig feucht. Doch a l s sie Carla s ahen, verä n derte s ich ihr Ausdruck; sie kniffen sich z u sammen, und die Aura des Verfalls wurde von der des Zornes verdrängt.
»Geh auf dein Zim m er«, stieß er hervor.
Robert schaute überrascht zu Carla, aber was er in ihren Augen las, war nicht V erwirrung, s ondern Entsetzen. S i e rührte sich nicht, sondern starrte ihren Vater nur an. Der monokeltragende Polizist fühlte sich offenbar verlegen; er räusper t e sich und m e inte in einer trägen, weichen Stimme, die so gar nic h t zu seinem Äu ß eren paßte:
» W enn Sie jet z t allein s ein w o llen, u m ’s dem Kind zu sagen, das würd ich schon verstehen.«
»Dazu«, erwiderte Heinrich Fehr, ohne den Blick von seiner Tochter zu neh m en, die ihn ihrerseits unverwandt anstarrte, »bezahle ich eine Erzieherin.« Er erhob seine Stimme. »Fräulein Brod! Fräulein Brod!«
Robert, der näher an s i e herantrat, spürte, d a ß C arla zu zittern begann, aber sie rührte sich nicht vom Fleck. Der sch m allippi g e Monokelträger wollte offenbar der seltsa m en Situation ein Ende bereiten; er sagte in dem begütigenden, her a blassenden Tonfall, in d e m die m eisten Erwachsenen m it Kindern sprachen:
»Schau, Kleine, es wär wirklich besser, wenn du auf dein Zim m er gehn würdest. Das Fräulein Lehrerin wird dir sicher…«
Er kam nicht weiter. Carla öffne t e den Mund und fing an zu schreien. Es waren hohe, spitze Schreie, ohne den V ersuch, W orte zu bilden, und Robert pre ß te u nwillkürlich die Hände auf die Ohren. Heinrich Fehr sah aus, als würde er C a rla a m liebsten ohrfeigen, aber er tat es nicht, statt d e ssen wiederholte er, nun schon brüllend, sie solle auf ihr Zim m er gehen. Bisher war alles abstoßend und faszinierend zugleich gewesen, aber jetzt wurde es einde u tig gräßlich; R o bert e n tschied sich einzugreife n , hauptsächlich, weil er Carlas Schreie n i cht m ehr aushalten konnte.
Er versuc h t e, sie am Arm aus dem Salon zu ziehen, aber s ie erwies sich als er st aunlich krä f tig und l i eß sich einfach auf den B o den si n ken. Als er seine Be m ü hungen verstärkte, begann sie, nach ihm zu schlagen und zu treten, und gerade als er zurückschlagen w ollte, fuhr eine erwac h sene Hand dazwischen. Sie gehörte weder Heinrich Fehr noch dem Monokelträger. Fräulein Brod war endlich eingetroffen. Sie versetzte Carla eine Ohrfeige, nicht fest, aber es genügte, um das Mädchen zum Schweigen zu bringen. Die plötzliche Stille wurde nur von Heinrich Fehrs schweren Atemzügen unterbrochen.
»Komm, C a rla«, sagte Fräulein Brod in ihrer ruhigen, beherrschten Stim m e, ohne zu ihrem Arbeitgeb e r zu blicken. »Ich m öchte m it dir noch ein m al deine Hausaufgaben für die nächsten Tage durchgehen. Es wird einige Verzögerungen geben, daher sind U m stellungen nötig.«
Die kühle D osis Nor m alität war offenbar das, w as Carla b rauchte, um ihre Selbstbeherrschung wiede r herzustellen, obwohl Robert sie irgendwie ko m i sch fand; zweifellos würde Fräulein Brod noch auf ein Erdbeben m it einer Reorganis a tion des Stundenplans reagieren. Aber ihm war nicht d a n ach zu l ac h en; selt s a m erweise war er noch nicht ein m al wütend auf Carla, trotz der Stöße, die er noch in seinem Magen spürte. Er folgte ihr und Fräulein Brod.
Carlas Schweigen hielt tatsächlich an, und weil es so plötzlich auf ihren Ausbruch gefolgt war, fand Robert es unhei m lich.
» W as ist denn los ? « fragte er Fräulein Brod, als sie in Carlas Zi mm er eintrafen, m ehr um die Stille zu durchbrec h en als in Erwartu n g einer Antwort. Fräulein Brod preßte die Lippen zusa mm en und schloß sorg f ältig die Tür hinter s i ch, aber dann erwiderte sie zu Roberts Verblüffung:
»Frau Fehr ist… etwas zugestoßen.«
Carla reagierte darauf nicht, und R obert begri f f, daß sie es schon gewußt hatte, als sie ihren Vater im Salon sah, und daß Marianne es bereits beim Anblick des Auto m obils und der Polizisten erkannt haben m ußte. Aber wie?
»Carla«, begann Fräulein Brod zög e rnd, und ihre sonstige Sicherheit wurde durch Unbeholfenheit ersetzt, »du hast vielleicht von den F e m e m orden gehört.«
Natürlich, dachte Robe r t; schließli c h hatte Frä u lein Brod s e lbst o f t genug davon gesprochen. Seitdem die Regierung wieder aus B a m berg zurückgekehrt war, fand man immer wieder Menschen, die von Leuten, die sich »Fe m egeric h te« nannten, als
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