Unter dem Zwillingsstern
erholt hatten, und dann tauchte eine einzelne Frau auf. Mit ei n em Schlag wurden die fest angestellten Tänzer, die ihnen gelangweilt zugeschaut hatten, lebendig. Der Besitzer s tec k te in einem offensichtlichen Dilem m a; einerseits wollte er, daß sie gingen, andererseits wirkte die Frau jetzt schon unsicher und würde gewiß sofort wieder gehen, wenn sie m erkte, daß sie die einzige Besucherin war.
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Carla, »wir sind fertig.« Nina, Brigitte und sie rekrutierten die übri g en He r m iaden zu einer spontanen Tanzeinlage, während d er Besitzer hastig eine Platte auflegte, denn sein regulärer Pianist w ar noch nicht eingetro f fen. Die Frau blieb, und Carla dachte, daß es die beste Art war, sich von Berlin zu verabschieden; nicht von der Geisterstadt der letzten beiden Monate, sondern von der Stadt, in der sie übermütig und glücklich und zum ersten Mal Teil einer Ge m einschaft ge w esen war.
Es war auch ihr Abschied von Robert. Ursprünglich wollte er sie nach Ha m b urg begleiten, doch das tat schon der auf m erksa m e Herr Kohner, und obwohl sie ihn m och t e, scheute sie davor zurück, ihn zum Zeugen einer privaten Szene zu m achen. Außerdem hatte Robert sein Eheleben schon genügend ihret w egen strapaziert, und seit dem Tag in München war in ihr die abergläubische Befürchtung aufgetaucht, bei den Parallelen in ihr e r beider Leben könnte Monika sich so sehr aufregen, daß sie das Kind verlor. Ihre Abneigung gegen Monika blieb bestehen, aber so et w as wünschte sie n ie m ande m , geschweige denn ihrem besten Freund und dem Geschöpf, das er nun ein m al geheiratet h atte. Es wäre furchtbar, wenn Robert ihretwegen unabsichtlich das bewirkte, was sie bewußt getan hatte. Nein, besser, sich hier zu verabschieden, während sie m iteinander tanzten und noch ein m al ihre Unbesiegbarkeit heraufbeschworen.
»Und vergiß nicht«, mur m elte Robert, »wo E m il Jannings einen von diesen Fil m preisen gewonnen h a t, da m ußt du m indestens zwei gewinnen.«
»Mindestens? W ieviel m ehr soll ich in zwei Jahren denn noch schaffen ? «
»Alles, Gretel«, sa g te er m it einem Augenzwinkern. »Alles.«
Am 26. Februar stand sie am Heck des Schiffes, das in Hamburg auslief, und schaute i n m itten von winkenden und rufenden Mitreisenden zurück auf das Elbufer. V o rhin hatte sie für den Photographen, den Paul Kohner angeheuert hatte, ein siegesbewußtes Lächeln zustande gebracht, doch nun erschien sie den wenigen Leuten, die auf sie achteten, seltsam reglos. Das Schiff b e wegte sich gegen die W i ndrichtung, und Carla zog ihren M a ntel etwas enger um sich, während sie die Silhouette der Han s estadt betrachtete. Die H a m burger K a mmerspiele gehörten zu den angesehensten Theatern in Deutschland. Plötzlich erschien es ihr als ein Verlust, dort nie eine Vorstellung erlebt zu haben. Natürlich ließ sich das nachholen, sagte sie sich, aber in der Stimmung, in der sie sich befand, nahm das Ganze den Charakter einer unwiderrufli c h verpaßten Gelegenheit an. Die Gruppen am Kai begannen bereits, sich aufzulösen und sich wie vom W i nd aufg e w irbeltes Laub in alle Richtungen zu zerstreuen. Nur ein Teil der Menschen, der entweder sehr anhänglich oder einfach noch ohne neues Ziel war, hielt aus und winkte weiterhin, obwohl sie selbst m it ihrer Brille keine Gesichter m ehr ausmachen konnte. Kathi saß um diese Zeit bestim m t schon an ihrer Schreib m aschine und hämmerte grim m i g auf die Tasten ein, um einen Schweizer Redakteur zu beeindrucken. Robert sprach m it einem der Leute von Astoria, oder er versuchte, je m anden von der Fil m prüfstelle zu becircen. Dr. Gold m a nn verarztete Patiente n , die keine illegalen Forderungen an ihn stellten. Und Philipp… dikti e rte seiner Sekre t ärin einen Geschäftsbrief, oder er und einer sei n er Freunde beglückwünschten sich im m er noch gegenseitig zur neuen Regierung. Was auch immer er tat, es m achte i h r n ichts m ehr aus. Das ei n zige, was sie no c h m iteinander verbunden hatte und von dem er nichts wußte, war tot. Ihr wurde bewußt, daß sie nun wirklich, endgültig, keine Fa m ilie i m üblichen S i nn m ehr hatte.
»Ist wohl Ihre erste große Reise, wie ? « erkundigte sich ein älterer Herr, der neben ihr stand.
Sie nickte. »Ja, das könnte m an so sagen.«
»Na, wird Ihnen schon gefallen. Die Jugend reist doch gern. Unsereins spürt schon seine Knochen dabei, aber mein Junge w ohnt in New York,
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