Unter dem Zwillingsstern
und…« Er brach ab und kniff die Augen zusammen.
»Sagen Sie m al, kenn ich Sie nich irgendwoher, Fräulein ? «
Sie lächelte, und er fand, daß sie ein ausneh m end hübsches Lächeln hatte. Es v er lieh i h rem Gesic h t, das sonst eine einschüchternde, kalte Schönheit besaß, die ihn fast daran g e hindert hätte, sie anzusprechen, einen einneh m enden Ch a r m e.
»Viell e icht « , antwort e te Carla. »Vi e lleic h t.«
TEIL D REI
18. KAPITEL
Der H i m m e l war anders. Nicht nur im Vergleich zu Europa, auch im Vergleich zu New York, das fiel i hr a l s e r s t es auf. D r ei Tage i m Zug, selbst in einem Ab t eil erster Klasse, genügten, um jede Art von Luft angenehm erscheinen zu lassen, doch als Carla das Fenster herunterzog, um sich hinauszulehnen und dieses erstaunliche helle Azur ohne Glasfilterung zu sehen, ü be rra s chte sie auch das, was der Fahrtwind m it sich b r acht e ; e ine trockene, würzige W är m e. Die Westküste war nicht m ehr so weit entfernt, doch i mmer noch herrschte das W üstenkli m a vor. W as für ein Glück, daß Paul Kohner sie gewarnt hatte. In New York war es so kalt gewesen, daß sie sich schon dumm vorgekom m en war, d i e Som m ersachen obenauf gepackt zu haben, doch hier würden sie dringend vonnöten sein.
Ihre Augen begannen zu tränen, und sie zog den Kopf wieder ein. Das Licht hier war so grell, als m üßten sich die S onnenstrahlen durch weniger Luftschichten drängen. Sie setzte sich wieder hin und griff nach der Puderdose m it dem kleinen Spiegel im Deckel. In New York hatten sie zwei Vertreter von Universal in E m pfang genom m en und durch den Zoll gelotst, genau wie Universal in Deutschland bereits ein Visum für sie organisiert hatte, und sie ver m utete, daß hi e r ebenfalls ein E m pfangsko m itee warten würde. Es wäre z w ar schö n , wenn dazu ein bekanntes Gesicht zählte, aber sie durfte nicht da m it rechnen, daß Genevieve die Zeit hatte, sie vom Zug abzuholen. Rasch zog sie sich noch ein m al d i e Lippen nach, als der Schaffner herei n trat u nd sie fra g te, ob sie n och eine Tasse Kaffee wünsche. Höflich lehnte sie ab. D er Kaffee zu m i ndest war in A m erika schauderhaft, m e hr eine gefärbte W asserbrühe; m an brauchte nicht lange, um das herauszufinden.
In ihrem b e sten Schulenglisch, d e nn dergleichen gehörte nicht zu dem durch das Fil m en erweiterte Vokabular, erkundigte sie sich nach der Zeitung, die er bei ihrem letzten Zwischenaufenthalt für sie hatte besorgen sollen, und gab ihm das, was die Männer in New York als ange m essenes Trinkgeld bezeich n et hatten.
Die Zeitung war eine E nttäuschung, genau wie die in New York und im Mittleren W esten. Nirgendwo fand sie Nachric h ten a u s Europa. Das m a c hte m it den acht auf dem Schiff ve r brachten Tagen schon zehn, in denen sie nicht wußte, was in Deutschland vor sich ging. Nun ja, zumindest taugte das Blatt dazu, Sprachkenntnisse zu erwerben. Sie m achte allerdings den Fehler, m it den Sportseiten anzufangen, und so dauerte es fast bis zum Halt des Zuges, bis sie herausfand, daß »The Babe« weder das im vergangenen Jahr entführte Lindbergh-Baby noch eine attraktive junge Frau war, eine Bedeutung, die sie kannte, weil Genevieve sie verwendet hatte, sondern ein Sportler, der ein Spiel na m ens Baseball p r aktizierte. Sie v ersuchte sich einen deutschen S p ortler m it einem derartigen Spitzna m en vorzustellen und m ußte lachen. Baby Sch m eling? R ose m eyer das Kleinkind?
Der Scha ff ner h a lf ihr m it ihr e m Gepäck. Als s i e auf dem Bahnsteig stand, schaute s i e sich um und entschied, daß die m enschliche Eitelkeit ihre Grenzen haben m ußte, denn sie konnte in dem Knäuel aussteigender Leute nie m anden erkennen, der nach ihr Ausschau hielt. Hastig set z te s ie ihre Brille wieder auf. Das m achte es auch nicht viel besser. Nun, Universal hatte Photographien von ihr; m an würde sie g ewiß finde n . Irriti e r e nder war schon, daß sie von dem Stim m eng e wirr nichts, aber auch gar nichts verstand. In den letzten drei Tagen hatte sie bemerkt, daß die A m erikaner und Engländer, die sie in Deutschland kannte, sich offenbar große Mühe gegeben hatten, langsam und deutlich zu sprechen.
Als ein Ma n n in einem ausgebeul t en braunen Anzug plötzlich vor ihr auftauchte und lauthals »Carol!« schrie, hielt sie das auch erst für ein Mißverständnis, doch er u m a r m te sie ohne weiteres und zischte ihr ins Ohr: »Play along,
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