Unter dem Zwillingsstern
Ca r la n icht den Eindruck hatte, wie ein wandel n der Kitschro m an zu klingen. Das Wort »kitschig« gab es im Englisc h en nicht, und sie hatte es Nancy erklären m ü ssen.
»Aber die Menschen klingen tat s ächlich so«, hatte Nancy eingewandt. »Sie haben keine großen Dichter im Kopf. Dolores klang so…«
Dolores… Das war es. Die har m l o se, stille Dolores, der nie m and einen Mord aus Eifersucht zugetra u t hätte. Ne f ertiri würde ih r en Satz in ruhiger Akzeptanz sprechen, und die letzten zwei W orte dann heftig, aber nicht höhnisch… Sie verurteilte gleichzeitig a u ch sich selbst.
»Carla, Schätzchen, bist du soweit ? «
»Ja, Dick«, rief sie, stand auf und ging m it Dolores’ angespannten, unruhigen B ewegungen in das Atelier.
Paul Kohner hatte sich seit ihr e r letzten Begegnung nicht verändert. Er begrüßte sie, als sei sie erst gestern aus E uropa abgereist, und wandte sich m it der gleichen Herzlichkeit Nancy zu, die sie begleitete.
»Miss Nakamura hat m i r sehr g e holfen«, sagte Carla. »Sie können froh sein, je m anden wie sie bei Universal zu haben.«
»Miss Nakamura, ich erinnere m i ch an Sie. Genevieve hat Sie ebenfalls lobend erwähnt. Arbeiten S i e im m er noch für Arnie Mintzer?«
Es erleichterte sie, wie g elass e n Nancy auf Gen e vieves Namen reagierte; Carla besaß inz w ischen e i nige Übung darin, Nancys Mienenspiel zu deuten, und sie konnte die s t arre Maske, die Nancy aufsetzte, wenn sie verletzt war, von ihrem gewohnten ruhigen Gesichtsausdruck unterscheiden. Es war ein s p ontaner E i nfall gewesen, Nancy um ihre Begleitung zu bitten; ganz gleich, wie die Machtverhältnisse bei Universal aussahen, Paul Kohner war einer der wichtigsten Produzenten, und er konnte vielleicht etwas für sie tun. Ganz g e wiß war er ein ange n eh m erer Arbeitge b er a l s Arnie die Kröte. In den Monaten seit Nancys Selbstmordversuch war das Gefühl, für sie verantwortlich zu sein, s t etig gewachsen, obwohl Nancy ihre ein m al wiedergewonnene Fassung nur selten verlor. Hin und wieder sprach sie m it Carla über Genevieve. Ein m al w e inte sie dabei, doch sie zog sich nicht m ehr brütend in sich selbst zurück. W enn Carla und sie über das Studio sprachen, zeigte sie einen schneidenden Sinn für Ironie, so auch jetzt, als sie es fertigbrachte, sich unverbindlich über Arnie Mintzer zu äußern und gleic h zeitig zu i m plizi e ren, daß sie nicht viel von ihm hielt. W as Carla jedoch an ihrem Verhältnis zu ihr am m eisten überrascht hatte, war, daß sie bereit war, sich Nancy gegenüber gehenzulassen und ihr die Verzweif l ung zu zeigen, die sie selbst gelegentlich überfiel. S ie konnte Nan c y von ihrer Sehnsucht erzählen, wieder auf einer Bühne zu stehen und vor einem lebendigen Publikum zu spielen, und gleichzeitig von der Angst davor, nicht m ehr dazu fähig zu sein. Über ihre Sor g en hinsichtlich ihrer F reunde in Europa und der ständigen Zweifel, die richtige E ntscheidung getroffen zu haben. Nancy verfügte über die seltene Gabe, so z u hören zu können, daß m an sich hinterher besser fühlte, obwohl sich im Prinzip nichts änderte. Sie hatten sich g e genseitig durch das l e t z te Jahr g e holfen, und dabei war ein unleugbares Band entstanden.
Mit Rücksicht auf Nan c y und Lupita sprach Paul Kohner englisch, nur, als er sie in den Garten führte, wo zum Kaffee gedeckt war, sagte er auf deutsch leise zu Car l a: »Es tut m ir alles sehr leid.«
Sie hob die Schultern. »Daran kann m an nichts m ehr ändern.«
»Nein«, entgegnete Kohner auf englisch, »und zu m i ndest müssen Sie hier k einen Ariernachweis er b r ingen. Ich h atte d i e zweifelhafte Ehre, einen von m i r produzierten Film von Jos e ph Goebbels gelobt zu hören, aber das hat ihn nicht d a ran gehindert, bei m einer Verfilmung von Brennendes G eheimnis d i e Na m en all e r jü d i schen Mitwi r kenden entfernen zu lassen. Danach wußte ich, daß es Zeit war, die Koffer zu packen.«
Die kleine Terrasse hinter Kohners Haus spiegelte für Carla den Mann selbst wider: eine europäisch-a m erikanische Mischung. Der weiße Gartentisch sah aus, als k o mme er geradewegs a u s einem Schrebergärtchen, aber die Barhocker, die darum standen, waren in Kalifornien zu Hause. Dafür erkannte sie das weiß-blaue Porzellangeschirr von Hutschenreuther; genau dieses Zwi e bel m uster h atte sich um die Tassen und Teller ihrer K i ndheit geschlungen. Auf einem der Hocker saß ein etwas
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