Unter dem Zwillingsstern
Aufsatz über Lessing und Moses Mendelssohn.
»Komm«, sagte Carla zu Robert u n d griff nach der Lenkstange ihres Rades.
Als er m erkte, daß sie es den zielsic h er in Richt u ng Althei m e r Eck m arschierenden Männern hinterh e rschob, protestierte er: »Spinnst du ? «
»Hast du Angst ? « gab sie heftig zurück, und das funktionierte, wie im m er.
Sie folgten den Braunen, zu denen bald noch ein weiterer Trupp stieß. Vor dem Redaktionsgebäude hielten sie an. Carla und Robert erkannten, daß vor dem breiten Eingang große Druckpapierrollen gestapelt standen. Dazwischen rag t en Rohre heraus, die aussahen wie Gewehre. M it einem schwachen Ge f ühl im Magen begriff Carla, daß es tatsächlich Gewehre waren, Maschinengewehre.
Sie stellte fest, daß sie unwillkü r lich nach Roberts Hand gegriffen hatte. Er sagte nichts, aber er e r widerte den Druck. Sie rührten sich nicht vom Fleck. Die Braunen waren m it Prügeln bewaffnet, und einer oder zwei trugen auch Pisto l en, aber sie hatten offensichtlich nicht m it einem solchen Risiko gerechnet.
»Dreckskerle! Vat e rlan d sverr ä t e r!«
»Braunes P ack!« schrie je m and aus dem Red a ktionsgebäude zurück. Carla schaute nach oben und erkannte weitere Gewehr m ündungen.
Während einige der Männer unten weiterbrüllten, berieten andere offensichtlich unterei na nder. Nach ein paar Drohungen zogen sie schließlich murrend ab.
»Das war’s«, sagte Robert, der nicht zei g en wollte, wie s e hr ihn das Spektakel gleichzeitig faszi n iert und beunruhigt hatte. » D ie Vorstellung ist vorbei. Hauen wir ab…« bevor sie m it ein paar Freunden und Waffen wiederkom m en, wollte er h inzusetzen, aber er schluc k t e die W orte gerade noch rechtzeitig hinunter, d e n n inzwischen wußte er, daß Carla sich Sorgen um ihre Lehrerin m achte.
Carla nickte, und sie ließ ihn auf dem Rad fahren. Er trat etwas schneller in die Pedale, als nötig war, und an der Art, in der sie sich an ihm festhielt, erkannte er, daß auch sie sich i mm er noch fürchtete.
Ehe Robert nach Lubeldorf zurückkehrte, hatte sich Carlas Begeisterung für das Kino völlig auf ihn übertragen, und er gab sich noch nicht ein m al m ehr den Anschein e i ner Im m un i tät, wie er es früher noch getan hatte. Es war der Film Der müde Tod, der seine geheuchelte Glei c hgültig k eit gänzlich z u m Scheitern brachte. Vielleic h t hing es m it seiner Liebe zur Magie zusam m en; als die Handlung des Fil m s in d e n Orient überwechselte und er einen fliegenden Teppich vor sich sah, ging ein spürbarer R u ck durch ihn. Am Schluß sagte der Klaviers p i eler, sie wür d en nächste Woche einen neuen Film desselben Regisseurs zeigen, Dr. Mabuse, der Spieler, und Robert biß sich vor Enttäuschung auf die Lippen. Nächste W o che war er in Lubeldorf, fern jedes Lichtspieltheaters.
»Laß uns bleiben«, flüsterte er Carla zu. » W enn sie es nicht m erken, können wir den Film noch m al sehen.«
Während die anderen L eute aufstanden und dem Ausgang entgegenströ m ten, drückten sie sich in ihre Sessel und rutschten im m er weiter nach unten. Es dauerte nic h t lange, und sie glaubten, alle Besucher wären bereits gegangen, als sie Schritte hörten, die neben ihrer Reihe innehielten. Carla glaubte, es sei der Vorführer, und m achte sich schon bereit, eine möglichst kindlich klingende Entschuldigung zu m u r m eln, als sie aufschaute und den Mann vor sich erkannte. Sie errötete.
»Grüß Gott, Philipp«, m ur m elte sie verlegen.
Robert m usterte den Mann. Carla h a tte recht, er h a tte tatsächlich etwas von einem Hai an sich, wie er so dastand und auf sie beide herunterschaute. Außerdem trug er zu allem Üb e r fluß auch noch einen grauen Anzug. Nur die Rückenflosse fehlt ihm noch, dachte Robert und bemühte sich standhaft, nicht zu grinsen.
Dann b e m erkte er etwas, das die g e fährliche Aura erschütterte. Die Augen des Mannes waren leicht g e rötet, und seine Lider sahen doch tat s ächlich verkle b t und feucht aus. Philipp d er Hai weinte? Über einen Film um den Tod, der kom m t und einen Handel vorschlägt?
Offenbar hatte Carla es ebenfalls be m erkt, denn sie sagte befangener, als es sonst ihre Art war: »Gehst gehst du ö f ter ins Kino ? «
»Man braucht hin und wieder Erholung«, erwiderte Philipp und klang e b enfalls leic h t v erle g en; R o bert wurde bewußt, daß der Mann offenbar alleine hier war und sich nicht in Gegenwart seiner Verlobten
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