Unter dem Zwillingsstern
nur eine andere Art von Rivalität, ein anderes Buhlen um Zuneigung. Manch m al ignorierte er die Leute einfach, aber hin und wieder trieb ihn seine Vorliebe für das Spiel m it dem Feuer dazu, den Betreffenden einen langen Blick zuzuwerfen und dann zu sehen, wie weit ein erwachsener Mann bereit war, sich zu demütigen, um die Gu n st eines Knaben zu erla n gen. Er wu ß t e, daß es g e fährlich war; ein m al hatte ein Mann ihm wütend zugeraunt: »Du Hund, ich werd’s dir zeigen«, und nur der U m stand, daß F re m de nicht wissen konnten, daß Papa zu betrunken war, um noch etwas zu be m erken, hatte ihn daran gehindert, in Pan i k a u szubrec h en. Mit F rauen m achte dieses Spiel etwas weniger Spaß; s i e reagierten auf die Ablehnung in der Regel m it einer heftigen Ohrfeige. Andererseits war das auch das höchste Maß an Gewalt, dessen sie fähig waren.
»Und«, fragte Carla, im m er noch nicht ganz bereit, ihm zu glauben, aber wid e r W illen f aszinie r t, »hast du es je g e t a n?«
»Mit diesen Typen ? « R obert verzog verächtlich den Mund. »Aber ganz besti mm t nicht.« Halb im Sche r z und halb, weil es sti mm te und er es ein m al aussprechen wollte, fuhr er fort: »Ich könnte es m i r nur m it Max vorstellen, und der ist nicht interessiert, der hat seine Frau.«
»Max ? «
»Mein Schuldirektor.«
»Oh«, sagte Carla und verkniff sich einen Kom m entar darüber, wie leicht es war, für je m anden zu schwär m en, der einem alles erlaubte und einen v on den lan g weiligen Fächern des U nterric h t s befreite. Es gab wichtigere Dinge, über die sie nachgrübelte.
»Und du m e inst wir k lic h , daß Philip p …?«
»Klar. Ich glaub nicht, daß er es je zugeben würde, jedenfalls jetzt noch nicht. Der ist viel zu selbs t be h errsc h t dazu. Aber warte noch ein paar Jahre, wenn er s i ch nicht m ehr so gen i eren muß, dann kannst du ihn um den Finger wic k eln, wenn du willst.«
4. KAPITEL
Die Heirat v on Marian n e Fehr und ihrem Cousin Philipp Bach m aier ver u rsac h te ber e its im Vorfeld einige Sch w ierigkeiten. Zunächst ein m al ließ sich d i e F rage nic h t e n tscheiden, wer die Hoc h zeit au s richten sollte. Mariannes Großeltern bestanden darauf, dies sei ihre Aufgabe, aber s i e leh n ten es auch strikt ab, Mariannes Vater einzuladen. Heinrich Fehr seinerseits li e ß keinen Zweifel daran, daß die Hochzeit seiner Tochter seine Angelegenheit sei, und war ebensowenig bereit, die Eltern seiner ers t en Gattin zu e m pfangen. Außerdem m achte Philipp deutlich, daß er in die Fir m a einsteigen wollte, und die konkrete Art und W eise, wie das geschehen sollte, m ußte geklärt werden. Diese Pattsituation hielt e i n paar Monate an, bis Mariannes Großvater, der sich immerhin ber e its hoch in den Achtzigern befand, einen Herzanfall erlitt und starb. D i e Trauerzeit verschob die Hochzeit um ein weiteres halbes Jahr. Danach war Marianne m it den Nerven am Ende, bis Phili p p vorschlug, d i e Hochzeit bei seinen Eltern in Österr e ich st att f inden zu lassen.
Carla rechnete nicht m it einer Einladung. Obwohl Marianne ihr die B e m erkung über hoffnungslose Fälle inzwischen verziehen hatte und wieder m it ihr sprach, w ürde s ie ge wiß nicht am Tag ihrer Heirat an die e h elichen Katastro p hen ihres Vat e rs erinnert wer d en wollen. Also überraschte es sie seh r , als sie im Herbst 1923 eine der schön gedruckten Karten erhielt.
»Marian n e und Philipp haben m i ch zu ihrer H o chzeit eingeladen«, sagte sie verdutzt zu ihrer Lehrerin.
»Dann«, erwiderte Käthe nüchtern, »solltest du dir Gedanken um ein Hochzeitsgeschenk m achen.«
Ihr Ta s che n geld für Marianne und P hilipp sparen zu m üssen war in gewisser Hinsicht bedauerlich, doch a ndererseits rührte sie die Einladung, wenn sie darüber nachdachte. Es war eine Anerkennung ihrer selbst als ganz nor m ales F a m ilien m itglied, und s icher wußte Maria n ne, was ihr das bede u t ete. Also e n t s chied s i ch C arla, Maria n ne auch etwas Außergewöhnliches zu schenken. Marianne kannte ihre Abneigung gegen Handarbeiten, und das würde helfen, sie ebenso zu überraschen. Carla m achte sich an die Arbeit, ihrer Schwester einen Schal für den W inter zu stricken und ihn m it V erzierungen zu besticken. Daß ihr Käthe dabei riet, wo sie günstig die M a terialien dazu erwerben k o nnte, fand sie ebenfalls erstau n lich.
»Meine Liebe«, sagte K äthe, »wir können uns nicht alle neue Kleider
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