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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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war auch zu si m pel. Hätte Paul Kohner ihr nicht seinerzeit einen Vertrag angeboten und wäre nicht gleichzeitig die Katastrophe m i t Philipp geschehen, dann befände sie sich vielleicht heute ebenfalls noch in Deutschland. W i e Robert. S i e hätte nie gedacht, daß sie ein m al dankbar sein würde, daß die Nazis auf Unterhaltung soviel W ert legten. Schauspielern und Regisseu r en würde der Kriegs d i enst erspart b l ei be n.
    Aber vielen anderen nicht. Sie erinnerte sich an die Bäc k erei in München, bei der sie als Kind im m er Brezeln gekauft hatte. Der Bäcker dort hatte einen Sohn, etwas älter als sie, nicht sehr intelligent, doch gut m ü tig und hilfsbereit. Einmal hatte er ihr einen geplatzten Fahrradreifen geflickt. Nun würde er kä m p fen m üssen, obwohl er ver m utlich noch nicht ein m al genau begri ff , weswegen. All die Krüppel fielen ihr ein, der Besuch mit Kathi in einem Hospital voller Kriegsversehrter, und sie schauderte.
    Eine andere Stim m e in ihrem Inner e n teilte ihr m it, daß Hitler nicht zu f ällig no c h an der Macht war. Er war auf legiti m e W eise Staat s oberhaupt geworden. Und daß ihn bisher, entgegen der Hoffnungen der E m igranten, nie m and gestürzt hatte, bewies, daß die übergroße Mehrheit de s Volkes di es eben ni c ht wollte, d aß sie zu f rieden m it ihrer Regierung waren und es hinnah m en, daß ein Teil ihrer Mitbürger verfolgt wurde, ja sogar selbst bei der Verfolgung m it m achten. Vielleicht nah m en sie den Krieg ebenfalls hin oder wünschten ihn. Die Spitze der W eh r m a c ht wollte i h n ganz bestimmt. Eine Revanche für Versaill e s.
    »Krieg«, hörte sie Kathis Freundin Constanze Hallgarten in der Erinnerung leidenschaftlich verkünd e n, »jeder Krieg ist ein Grundübel der Menschheit, und am Ende gibt es keine Sieger, sondern nur Tote, Krüppel, W i twen und Waisen.«
    Gewiß. Aber wenn m a n einer Seite den Sieg wünschen mußte, dann der, die nicht m it dem Krieg angefangen hatte und versuchte, ihn zu beenden. Das tat sie. Sie wünschte den Si eg der Überfallenen. Der Gedanke, Hitler könnte über h a lb Europa h errsc h en, erfüllte s i e m it Entsetzen. Sie unter s chrieb sof o rt die Petitionen, die eine unwillige a m erikanische Öffentlichkeit b e schworen, nicht neutral zu bleiben und in den Krieg einzutreten. Doch ein kleiner Teil von ihr, dessen sie sich früher nie bewußt gew e sen war, fühlte sich dabei schuldig. Dafür schä m t e sich der weita u s größere T eil von ihr, der sich aus m alte, was geschehen könnte, wenn Frankreich verlor und die int e rni e rten E m igranten den D e utschen in die Hände fielen.
    Im m erhin, bisher hatte es zwar eine Kriegserklärung, aber keine K a m pfhand l ungen zwischen Frankreich und Deutschland gegeben, nur die blitzartige E roberung P o lens. Das war schrecklich genug, doch da sie keine Polen kannte, b l ieb der Schrecken abstrakt, verband sich nicht m it Gesichtern.
    »Paul«, sagte Carla plötzlich, »fr a gst du dich je warum wi r ? W arum hatten wir das Glück, hier Arbeit und Sicherheit zu finden, wo wir genausogut jet z t inmitten eines Krieges leben könnten ? «
    »Manch m al. Es war so ein unglaublicher Zufall, daß La e m m l e in Karlsbad Gefallen an m i r gefunden hat. So, wie ich vom Film faszinie r t war, h ätte ich wohl auf je d en Fall m ein Glück in der Branche versucht, aber ich hätte es sonst in Berlin getan und nicht in A m erika.« Er seufzte. »Ich frage m i ch, wie Teplitz wohl heute aussie h t. Und ob sich die Menschen, m it denen ich aufgewachsen bin, wirklich so sehr verändert haben. Der n e ue Ortsgruppenleiter hat ein m al im Kino m e ines Vaters den Proje k tor bedient…« Er brach ab. »Nun ja. Du hast sicher auch alte Bekannte… auf beiden Seiten.«
    Das entsprach so genau d e m , was si e dachte, daß sie nahe daran war, ihm auch den Re s t zu erzä h le n , aber sie hi elt sich gerade noch rechtzeitig zurück. Statt dessen sprach sie von einer Idee, die sie gehabt hatte, während sie sich den Kopf nach etwas Konkrete m , Hilfreichem zerbrach, das sie tun konnte, außer G eld zu spenden. Sie schlug einen bunten Abend vor, an d e m diverse Schauspieler aus den Werken der Schriftsteller, die 1933 öffentlich verbran n t worden waren, vorlesen würden.
    »Einen Teil von ihnen kannst du in das Land bringen«, m einte sie,
    »aber andere sind bereits tot, wie T ucholsky oder Ossietzky, und ein Teil sitzt im m er noch f e st. Ganz zu schweigen von

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