Unter dem Zwillingsstern
den Klassikern wie Heine, die in Deutschland nicht m ehr gelehrt werden dürfen. W enn wir aus all ihren W erken vortragen und dazu erzählen, von w e m sie stammen, was m it d e m Au t or geschehen ist und warum er in seiner H e imat nic h t m e hr verö ff entlic h t wird, dann würde das die Leute, d i e k o m m en, sicher s t är k er beeinflusse n , als wenn s i e d i e s e N a m en nur in der Zeitung lesen. Weißt du, ich habe es satt, in den Hearst-Blättern zu lesen, daß m an m it Hitler reden kön n e und er Deutschland nur verbessert habe.«
Kohner gefiel ihre Idee, aber er m achte sie darauf auf m erksam, daß die betreffenden Schauspieler wirkl i c he Publiku m slie b linge s e in sollten, um die theater- und vortragsunfreundliche Bevölkerung von Los Angeles zu motivieren, und daß sie auf jeden Fall englische Übersetzungen der in Frage kommenden Werke benötigten, die, wenn nicht schon vorhanden, erstellt werden mußten. »Ein rein deutschsprachiger Abend, und nie m and kom m t, s e lbst wenn der Vortragende Clark Gable wäre und deutsch spräche. Tja, und dann ist da die Frage der Organisation und Zusammenstellung, d e r Regie sozusagen. Fühlst du dich dem gewachsen ? «
Zum ersten Mal während ihrer Unterhaltung schenkte sie ihm ein aufrichtiges Lächeln. » N ein. Das h eißt, wenn ich m üßte… aber ich muß nicht. Ich habe je m anden ganz Bestim m ten dafür im Auge, den du auch kennst. Max Reinhardt hat da diesen Saal in der alten Radiostation am Sunset Boulevard…«
Als der Lunch zu Ende war und Kohner zu seiner nächsten Verabredung eilte, fühlte sie sich um e i niges besser. Die prinzipiellen Sorgen blieben, aber sie war nicht m e hr aus s chli e ßlich zur Passivit ä t verurteilt. E s gab eine Möglichke i t, wie sie ihr Talent benutzen konnte, um etwas für die O pfer der d e utschen Gegenwart zu tun, auch wenn es sich nur um einen kleinen, sehr kleinen T eil handelte.
Käthes erste Internierung dauer t e nicht sehr lange, und da m it war sie keine A usnah m e. Nachdem sich herausstellte, daß es in diesem Jahr wohl keinen deutschen Angriff m ehr geben würde und die erste Panik verebbte, ließ m a n viele der a l s feindliche Ausländer verhafteten E m igranten wieder gehen, allerdings m i t der Auflage, ihren Wohnort auf keinen Fall zu verlassen und sich regel m äßig bei der Polizei zu melden. Außerdem wurden keine Ausreisegenehmigungen m ehr erteilt.
»Das ist doch paradox!« rief eine ihrer Bekannten wütend. »Wenn sie glauben, daß wir Spione sind, so l lten sie froh sein, uns loszuwerden.«
Käthe fand es nicht paradox, sondern kränkend und d e m ütigend. Die Unbeque m lichkeit des Lagers war nicht so schlimm g e wesen wie die Ungeheuerlichkeit, als Faschi s tin verdächtigt zu werden. Und das von Leuten, die den Faschis m us offensichtlich nicht sehr ernst nah m en und nicht ein m al erkannten, w enn er ihnen ins Gesicht starrte. Drôle de guerre, nannten die Franzosen inzwischen den Krieg, sprachen vom Sitzkrieg nach dem polnischen Blitzkrieg. Käthes Vertrauen in die französische F ähigkei t , Hitler aufzuhalten, sank ins Bodenlose. Nach der Erfahrung m it dem Lager war sie bereit, das Land zu verlassen, aber obwohl ihr Carla inzwischen ein a m erikanisches Ei n reisevisum verschafft hatte, wenngleich für Touristen, nicht für Einwanderer, f ehlte ihr das französische Ausreisevisu m , und sie hatte keine Möglichkeit, in eine der H a fenstädte zu kom m en. Sie erwog, wieder zu dem würdelosen, kapit a listischen Mittel der Bestechung Zuflucht zu neh m en, d e nn sie hat t e ihren Dia m a nten noch, aber das Risiko, dabei in dem m o m entanen Kli m a des Argwohns jedem Ausländer gegenüber an den Falschen zu geraten, war ihr noch zu groß, also stellte sie ihre Anträge weit er hin auf legalem W eg. Überdies waren ihr vorerst die A rbeits m öglichkeiten genom m en; die Redaktionen der E m igrantenzeitungen m ußten geschlossen werden, und m it der Tätigkeit als Übersetzerin und S e kretärin für Geschäftsleute war es auch vorbei, denn deutschsp r achige Geschäftsbriefe waren nun nicht m ehr nötig. Genausowenig l e gten Fa m ilien noch W ert darauf, ihre Kinder in Deutsch unterricht e n zu lassen. Um die Jahreswende waren ihre nicht sehr großen Ers p arnisse aufgebraucht, so daß sie Carlas Medaillon verkaufen m ußte. Eine ihrer B ekannten verschaffte Käthe sc h li e ßlich Arbeit als Nähe r i n . Es brachte sie d u rch di e er s ten Frühlings
Weitere Kostenlose Bücher