Unter dem Zwillingsstern
seiner Lagerinsassen an das provencalische Lager Hyere einzureichen, und bat sie, L i sten m it den N a m en der Alten, Kranken und Mütter von Kleinkindern zu erstell e n. Die gute Nachricht, die rasch den U m lauf m achte, munterte die m eisten der Frauen wieder auf, doch Käthe blieb bedrückt, was Inge unweigerlich auffiel.
»Sie glauben net, daß wir hier wegkom m a, gell, Kathi ? « fragte sie lei s e, als ih r e beiden M ä dchen schliefen oder doch zu m i ndest so taten.
»Nein. Nein, ich fürchte nicht. W enn es eine universale Ge m einsa m keit von Behörden aller Länder gib t , dann die, daß sie schla m pig arbeiten. Wenn die W ehr m acht hier in Frankreich so schnell vorrückt wie in Polen, dann trifft die Erlaubn i s, uns in den Süden zu verlegen, wahrscheinlich erst ein, wenn wir längst schon unterwegs nach Deutschland sind.«
Inge schwieg eine W eile und schaute zu ihren Töchtern. » W as glauben S’, was dann wird ? «
»Eine andere Art von Lager«, antwortete Käthe zögernd. Sie wollte Inge nicht erschrecken, doch sie h i elt auch nichts von Schönfärbereien. »Hier ist es zu eng, und die Versorgung kann m an nur als m i serabel bezeichnen, aber nie m and legt Hand an uns oder sieht uns als Zwangsarbeiterinnen. Nach a lle m , was wir in Paris in d en Redakti o nen darüber gehört haben, sind die deutschen Konzentrationslager strenger als jedes Gefängnis, und es besteht keine Hoffnung, je m als entlassen zu werden.« Angesichts Inges erstarrter Miene fügte sie hastig hinzu: » W as die Kinder ang e ht ich weiß nicht. Vi e ll e ic h t schic k t m an sie auch in s t aatlic h e W a isenhäuser o der zu Verwandten, je nachde m , ob es noch welche gibt.«
Zum ersten Mal in all d en W ochen erkannte sie Tränen in Inges Augen, und Panik erfüllte sie bei dem Gedanken, daß nun auch die zuverlässige Inge zusa mm enbrechen könnte.
»Des derf einfach net sein. Net m e i Kinder.« Sie schluckte, dann kra m te sie in i h rer Jackentasc h e u nd zog ei n en Rosenkranz aus Holzperlen heraus, was Käthe überraschte.
»Sie sind katholisch, Inge ? «
»Ja freilich. W ieso… ach so. Also, m ei Mutter hat s i ch tau f en l a ssen, da wo si e m ein Vatter g’heiratet hat, und dem Ludwig sei Fa m i lie is auch konvertiert.«
Sie verstu mm te, schloß die Augen und hielt eine Perle nach der anderen zwischen den Fingerspitzen, während sich ihre Lippen bewegten, ohne einen Ton von sich zu geben. Käthe beobachtete sie und erinnerte sich an ein Gespräch m it Martin darüber, wie die Gebete der Kindheit m anch m al zurückk e hrten, obwohl m an den Glauben längst verloren hatte. Wenn ich s t erbe, dachte sie plötzlich, wird dann irgend je m and da sein, um d e n Kaddisch zu spreche n ? Sie war sich nicht si cher, ob sie das überha u pt wollte. An einem ihrer let z ten freien Tage in Paris hatte sie d e n Friedhof von Mont m artre besucht, wo Heinrich Heine begraben lag, w eil sie es schon von jeher ein m al hatte tun w ollen und es bisher i mm er wieder aufgeschoben hatte. Heine gehö r te zu ihr e n Lieblin g sdi c htern, aber das G e dicht, das ihr beim Anblick sein e s Grabes noch mühelos ei n ge f allen w a r, wollte sich j e tzt n u r in Frag m enten ein s tellen: Keine Messe wird man singen, keinen Kaddisch wird man sagen… W i e ging es weiter? Nichts
gesagt und nichts gesungen w i rd an meinen Sterbetagen! N ein, das war zu si m p el. Die Zeile hatte anders gela u tet. Aber es fiel ihr einfach nicht mehr ein, wie.
Inzwischen war aus Inges stu mm en Lippenbe w egungen ein leises Mur m eln geworden. Abwesend dachte Käthe, daß sie katholische Gebete sonst nur von Marianne Fehr gehört hatte, die sich in diesem einen Punkt ihrem Vater so ausda u ernd widersetzte und, war er nicht anwesend, sogar darauf bestand, e i n Tischgebet zu sprechen. Den Text des A ve Maria allerdings kannte Käthe n i cht d u rch d i e ä lt e re Schwester ihrer Schülerin, sondern durch die zahlreichen V ertonungen der großen Ko m ponisten. Seltsa m , die lateinischen W o rte waren ihr n ie so u n m ittel b ar b eschwörend ersc h ienen wie In g es deutsc h e Rezit a tion j e tzt.
»Gegrüßet seiest du, Maria, voll d e r Gnade. Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den W ei b ern. Und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Mut t er Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Gegrüßet seiest du, Maria…«
Ein Entschluß reifte in Käthe, und während
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