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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hätte e r n ie den v ö llig über f üllten Bus benutzt. Er konnte zwar kein Neuanköm m ling in diesen Breiten sein, dazu war er von der Sonne zu braungebrannt, aber er strahlte die von Erwartung, Furcht und Hoffnung geprägte Aura aus, die der Grenzposten m i t den Euro p äern identifizierte. Die Papiere bewiesen seine Ver m utung: Einreise- und Ausreisevisum für Paraguay, für Brasilien, Kolu m bien, Panama, Nicaragua, El Salvador, Guate m ala und s chließlich für Mexiko, alles in einem deutschen Paß, der ihn als Martin Israel G o ld m ann auswies. Bis a u f das Einreisevisum für Paraguay waren die Papiere n e ueren Datu m s, und da Fälschungen häufig waren, überlegte der Poste n , ob er sie gründlicher überprüfen sollte. Dann entschied er sich dagegen.
    Sollte s ich s ein a m erikanischer Kollege die M ü he m achen; es lag schließlich an ih m , ob er einen w e it er en Im m igranten in s e in e m Land haben wollte.
    Der grauhaarige Herr erhielt s e ine Papiere zurück, dankte und überquerte langsam die Grenze, auf die a m erikanische Kontrolle zugehend. Der m exikanische Posten schaute ihm nach und entdeckte, daß auf der a m erikanischen Seite je m and auf den Mann wart e t e. Es handelte sich nicht um den Bus, der sich im m e r noch auf der m exikanischen S eite befand. Nein, dort d r üben stand eine junge F rau und winkte. Das Mitleid des Grenzpost e ns für den Grauhaarigen schwand schlagartig. Die alten K nacker, dac h te er unwillig, sind doch alle gleich. Er b ezweifelte, daß es sich um die Tochter des Mannes handelte; in de n Papieren hatte n ic h ts von a m erikanischen Fa m ilienangehörigen gestanden. D a die Sonne ihm ins Gesicht strahlte, kniff er die Augen zusam m en und befand, daß die Frau eine zu gute Figur hatte, um sie an das alte Klapper g estell zu verschwenden. Natürlich trug sie kein anständiges Kleid, s o ndern Hosen und eine Bluse, die auch nichts verbarg. Amerika n isc h e Nutten, dachte der Grenzposten. Kennen alle keine Scham. Er beschloß, bald wieder einen Abstecher in die Vereinigten Staaten zu m achen. Man konnte den alten Knackern doch nicht a lle überlassen.
    Carla hatte Dr. Gold m a nn seit dem Tag ihrer Abtreibung nicht m ehr gesehen, und ihr erster Eindruck, als sie ihn zur verabredeten Zeit an der Grenze erblickte, war, daß es sich un m öglich um Martin Gold m ann handeln konnte. Der Mann dort war m i ndestens fünfzehn Kilo leichter und zwanzig Jahre ält e r. Aber je näher er ka m , desto sicherer wurde sie sich, und die Kehle schnürte sich ihr zusammen. In einer Hand trug er einen kle i nen Koffer, und daran erkannte sie ihn endgültig; auf die gleiche W eise hatte er seine Arzttasche getragen.
    »Dr. Goldmann!« rief sie, so laut sie konnte, und winkte.
    Er schaute zu ihr und beugte den K opf, als nicke er ihr zu, doch er winkte nicht zurück, hielt nicht inne in der Prä s e n tation seiner Papiere vor dem Grenzposten, so, als wage er es nicht. Dann ließ ihn der Mann passieren, und auch d e m Am e rikaner gegenüber zeigte er das gleic h e, vorsichtige Verhalten. Fast wie ein S o ldat vor sei n em Offizier stand er da und rührte sich nicht, bis der Grenzer ihm beschied, er könne einreisen. S ie rannte zu i h m. Die Vorstellung, er könne sie auf die gleiche, ängstlich-for m elle Art begrüßen, ertrug sie nicht, also u m armte sie ihn, ehe er Z eit hatte zu r e a gieren. Sein Körper fühlte sich erbär m lich dünn und knochig an.
    »Dr. Goldmann«, sagte sie und entsc h ied sich f ür etwas Geplappere, um ihn wieder in die Nor m alität einzu f ühre n , »willko mm en! W as haben sie nur in Süd a m erika m it Ihnen g e m acht? Nur noch Haut und Knochen! Aber keine S orge, wir werden Sie hier schon wieder aufpäppeln. Ich kann zwar immer noch nicht kochen, aber ich kenne alle guten Restaurants in Los Angeles. S elbst Robert wäre zufrieden. Und m eine Haushälterin hat auch herau s gefunden, wo m an richtiges Brot kriegt, so daß Sie nicht dieses gu mm i artige Zeug zu sich nehm e n müssen…«
    »Carla«, entgegnete er, höflich, a b er ent s chie de n, »ich m ag zwar gealtert sein, aber ich bin nicht g e istig verwirrt. Du brauchst m i ch nicht wie einen verlorenen alten Mann zu behandeln.« E r lächelte schwach, m it ei n em Schatten sei n er früheren Kavalier sa ttit ü de. »Die U m a r m ung einer schönen Frau ist allerdings immer willkom m en.«
    Ihr W agen s t and n i cht weit e n tfer n t, und d en wollte sie hier nicht zu

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