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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hielt es Philipp hin, der ihm ko mm entarlos einschenkte.
    »Nur weiß ich nicht, ob wir den K r ieg überhaupt noch gewinnen können. Nicht nach Stalingrad. Aber wenn nicht, wenn wir verlieren, wenn das alles u m sonst war… Ich bin nach München zurückgeko mm en, als ich die Nachricht vom Tod m einer Frau erhielt. In dem Monat sind noch andere in München g e storben. Haben Sie in B erlin das m it diesen Münchner Studenten m itgekriegt? Keine Juden. Keine Kommunisten, keine Sozialisten. In keiner Weise von den… Maßnah m en betroffen. Aufgewachsen im Tausendjährigen Reich und durch seine Schule gegangen. Und t r otzdem stellen sie sich hin und spielen W i derstand. W a s zum Teufel haben die sich dabei gedacht? Flugblätter. Als ob Flugblätter irgend etwas ändern würden. Kinder.«
    »Ja, ich habe davon gehört.«
    »Und von Polen? W as e rzählt m an s ich eigentlich in Ihren Kreisen über das, was in Polen vorgeht, Robert? Oder sprechen Sie lieber gar nicht davon? Kann ich Ihnen nicht verdenken. W ir sprechen selbst dann nicht davon, wenn wir dort sind.«
    Obwohl all e s in ihm protestie r te, daß es ein Fehler sei, daß Philipp schon am nächsten Morgen bereuen werde, was er heute nacht tat, obwohl ein Teil von ihm es wirklich nicht wissen wollte, trank Robert sein eigenes Glas leer und s a gte dann: »Also schön. Erzählen Sie m i r, was in Polen geschieht.«
    Das Mondlicht ließ Philipps Ges i cht wie eine w eiße Maske aussehen. Ein Kinn m uskel zuckte, währe n d er ent g eg n ete: » W ir nutzen s i e als Zwangsarbeiter, natürlich tun wir das, das tun wir in München auch. Sowohl Loden-Frey als auch m ein Mün c hner Hauptwerk b e kom m en Kräfte aus Dachau. Aber in Polen ist es anders. Sie werden jeden Morgen, jeden A bend gebracht. Und in den Ghettos, in den Lagern, da, wo sie leben, da leben sie nicht lange. Ich war ein Jahr lang im Krieg, aber ich habe in diesem Jahr nicht so viele Erschossene gesehen wie in dem Ghetto, aus dem die A r beiter m einer Fabrik ka m en, als sie… u m gesiedelt wurden, in ein Lager, weil sie sich da besser organisieren ließen. Verstehen Sie, da habe ich begriffen, daß es nicht m ehr um die Beschaffung von billigen Arbeitskrä f ten geht. Billi g e Arb e itsk r ä f te tr ei bt m an an, m an beutet sie aus, a b er m an erhält sie am Leben, schließlich b r aucht m an sie noch. Nur nicht in Polen, denn es kom m en im m er neu e , im m er neue… Und der Geruch, ich kann den Geruch nicht vergess e n. An diesen Tagen hofft m an, daß es bald regnet, da m it die Asche aus der Luft verschwindet.«
    » W ie viele?« fragte Robert, m ehr um sich zu beweisen, daß er überhaupt noch sprechen konnte, als aus einem anderen Grund. » W ie viele sind Ihrer Meinung nach schon tot ? «
    »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube ich glaube am Ende sollen sie alle sterben. W enn der Krieg vorbei i s t. Dann soll es sie nic h t m ehr geben.«
    In der Reichskristallnacht hatte Robert zum ersten Mal eine Ahnung von dem gestreift, was er jetzt e m pfand. Unfaßbares Grauen angesichts des totalen B ösen.
    »All e ? Aber Philipp d as wären das wären Millionen.« Er ve r suchte, s i ch in etwas Banales wie M athe m atik zu flüchten. »D as wäre ja, als ob m an die Einwohner von Berlin, München, Ha m b urg und Köln zusam m en…. Das kann nicht sein. So viele zu erschießen, das dauert…«
    »Sie werden nicht m ehr nur erschossen. Letztes Jahr ist etwas Neues eingeführt worden. Gas.«
    »Nein«, flüsterte Robert, »nein, ich kann einfach nicht glauben, daß…« Er brach ab, denn er glaubte es.
    »Ich sa g e m ir m orgens, m ittags u nd abends, es sind kei n e Menschen wie wir. Doch das genügt nic h t m ehr. Dann sage ich m ir, solange sie für m i ch arbeiten und kriegswichtige Dinge anfertigen, werden sie nicht u m gebracht, aber das stim m t nicht. E i n T eil wird trotzdem umgebracht und einfach ersetzt, u n d das werden im m er m ehr. Es ist außer Kontrolle geraten, verstehen Sie. Das T öten. Die Wach m annschaften, die Befehlsha b er… es i s t zum Selbstzweck für sie geworden.«
    »Außer Kontrolle ? « wiederholte Robert ungläubig und kä m p fte dagegen an, sich an Ort und Stelle zu erbrechen. » V or einer Minute haben Sie noch gesagt, Sie glaubte n , daß sie am Ende alle sterben sollen. Läßt sich so etwas ohne Planung m achen? Außer Kontrolle? Denken Sie wirklich, so etwas würde ohne Anordnung geschehen? Ohne W i ssen der Regierung? In unse r em Staat, wo

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