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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ble und daher für einen von Dieters seltenen Ausbrüchen.
    »Heute ist nicht der Tag für Clownereien«, sagte er, durch zusam m engepreßte Lippen hindurch kaum hö r bar. Robert lag es auf der Zunge zu protestieren, es sei doch nur ein Versehen gewesen, doch er ließ es, als er sah, w i e Andrea stumm den Kopf schüttelte.
    »Es ist n u r d as La m pen f i eber, das i s t all e s«, f l üst e rte s i e ihm später zu und fuhr m it d e m höheren Standpunkt ihrer sechsundzwanzig Jahre sarkastisch fort: » O der denk s t du, das vergeht, wenn m an die Hauptrolle s pielt und gleichzeitig Regie führt ? «
    Sie hatte gut reden. Ein Reinfall w ü rde ihr nic h ts aus m achen, denn jeder wußte, daß sie nur noch bis zum Ende des Jahres hierblieb und dann heiratete; sie zeigte ihr e n Verlobungsring bei allen m öglichen Gelegenheiten, und das war eigentl i ch auch der Grund, warum Robert sie u m warb. W enn sie nachg a b, würde ihn das zu nichts verpflichten. S eine Selbsteinschätzung reichte nicht so hoch, daß er glaubte, seine Person könne eine A lternative zum komfortablen Leben an der S eite eines Bankiers sein.
    Der Nach m i ttag war ei n e einzige F o lter, bis Jean-Pierre auf die Idee ka m , m i t ihm zu dem noch recht neuen Schw i m m bad zu gehen. Er hatte in Lubeldorf schwimmen gelernt, weil Sport das F ach war, das Max unterrichtete, und es lenkte ihn wirklich eine W eile ab. Als sie in das T heater zurückkehrten, stellte Robert fest, daß etwas von seinem Appetit zurück g ekehrt war. Dieter überraschte ihn m it einer Tafel Schokolade, als habe er das gewußt. Roberts Nervosität fing an, sich in angespannte Erwartung zu wandeln, aber ihm w a r im m er noch weich in den Knien, und daran ä nderte sich nichts, während er sein Gesicht langsam in das eines fünfzigjährigen Mannes verwandelte, rothaarig, m it einem sch m alen Mund und leicht unterlaufenen Augen. Zu m i ndest in der Kunst der Maske hatten all die Schulaufführungen geholfen; er beherrschte sie perfekt.
    Er ging in seiner Garderobe m it Karl Alexanders Schritten auf und ab, soldatenhaft straff, m ahnte er sich, aber nicht m ehr jugendlich beschwingt. »Sprich ein Gebet zu Ming Huang«, riet ihm Jean-Pierre, der s elbst n i cht d er Gelas s e ns t e war, aber es besser wußte, als Robert etwas davon zu zeigen. »Das ist der chinesische Schutzheilige für Schauspieler und so, wie du aussiehst, bestim m t dein ganz persönlicher Patron.«
    Es erinnerte ihn an seine und Car l as Beschwörungen, aber es half. Als er aufstand, entdeckte er ver b lüfft, daß er wieder hungrig war. W i rklich hungrig, aber nicht nur nach Essen, sondern nach de m , w a s dort draußen war, auf der Bühne. E r spürte den Hunger am ganzen Körper, so wie das stechende Kribb e ln eines eingeschlafenen Fußes. Er spürte, w i e ihm Jean-Pierre auf den Rücken klopfte, dann ging er hinaus, zu Dieter, den anderen S c hauspielern und dem uns i chtbaren, zum Sprung gekauerten Biest: dem Publiku m .
    Für Jean-Pierre an seinem Beobachtungsposten hinter den Kulissen war die W e lle, die durch das Publikum ging, als Robert die Bühne betrat, lachend, wie über einen ger a de erzählten Scherz, m ehr hörbar als s icht b ar. Es war e in k olle k tives Einat m en, ein deutliches Innehalten aller Bewegungen, während Robert m it seinen gutgelaunten Beleidigungen und den plöt z lichen Ausbrüchen in gekränkten Ärger begann. Seine sonore Stim m e hob und senkte sich im Takt m it Dieters ruhigen, höflichen Worten als Süß, der dem Herzog zum ersten Mal begegnet. Erst als Robert die Bühne wieder verließ, nur kurz, während Dieters Szene m it d e m Rabb i , wurde die Stille im Zuschauerraum wieder durchbrochen von Fächern, dem Zurücksinken in Stühle, und Jean-Pierre wußte, daß sich ihr Glücksspiel m it dem Jungen gelohnt hatte. W as sie heute e r lebten, war einer der seltenen, m agischen Fälle, in denen ein D e bütant ein Echo auslöste, das die größten Künstler auf der Höhe i h res Ruh m s nicht erringen können, selbst dann nicht, wenn sie s e lbst solche Debütanten waren.
    Jean-Pierre beobachtete den fast greifbaren Str o m an ungezügelter Energie, der zwischen Robert und dem Publikum hin und her schlug, und fragte si ch unwillk ür lich, warum sich in sei n e eigene erleichterte Erregung auch etwas Bitteres m ischte. Zu dem Zeitpunkt, als er die Pause nutzte, um seinen Platz in der ersten Reihe einzuneh m e n, hatte er zu m indest ei n e s e iner sauren

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