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Unter Den Augen Tzulans

Unter Den Augen Tzulans

Titel: Unter Den Augen Tzulans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Matuc. »Was ist, wenn du genauso wirst wie dein Vater?«
    Augenblicklich verengten sich die Augen des Knaben. »Was ist mit meinem Vater? Er ist also nicht weggelaufen? Und was ist mit meiner Mutter geschehen?«
    »Dein Vater wurde ebenfalls schon von Waljakov ausgebildet und wurde zu einem Tyrann, nach allem, was ich gehört habe«, ließ sich Matuc zu einer vagen Erklärung hinreißen. »Auch er beherrscht die Magie und hat sie nur dazu eingesetzt, tausendfachen Tod und Verderben auf Ulldart zu verbreiten. Dein Vater ist ein schrecklicher Mensch, Lorin. Und ich will nicht, dass du genauso wirst wie er. Doch du scheinst bereits auf dem Pfad zur Finsternis zu sein.«
    »Bin ich deshalb auf einem Schiff zur Welt gekommen?«, flüsterte er. Die Neuigkeiten hatten tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen, zumal er nicht den Eindruck hatte, dass sein Ziehvater übertrieb.
    »Auch deine Mutter wollte nicht, dass du wirst wie er. Aus diesem Grund haben wir dich von Ulldart weggeschafft«, erklärte der Geistliche. »Und du wirst ihren Wunsch respektieren, junger Mann. Versprichst du mir das?«
    Lorin war nun völlig durcheinander. Der fürchterliche Tag wollte einfach nicht zu Ende gehen, ständig hatte er neue Grausamkeiten auf Lager. Er musste in aller Ruhe überlegen, nicht hier, nicht in diesen engen Wänden. Er ließ die Frage des Geistlichen unbeantwortet, wandte sich auf dem Absatz um und stürmte hinaus ins Freie.
    Matuc holte ihn nicht mehr ein, das künstliche Bein stellte eine zu große Behinderung dar.
    »Komm zurück. Lorin«, rief der betagte Mann besorgt in das wirbelnde, eiskalte Weiß, das vor der Tür wie eine lebendige Wand stand. Zweifel stiegen auf, ob er die richtigen Worte gegenüber dem Knaben gewählt hatte. »Lorin?«
    Der Schnee und der Wind brachen seine Stimme nach wenigen Metern, zerhackten und schluckten sie restlos.
    Lorin kämpfte sich durch das Schneetreiben zum Bootshaus von Blafjoll. Er entfachte ein kleines Feuer, um sich zu wärmen und die Kälte aus den Gliedern zu verjagen. Abwesend betrachtete er seine Knöchel, an denen Byrgtens Blut getrocknet war.
    Sein Vater war ein Tyrann. Aber wenn er, Lorin, sich doch nur wehrte, konnte doch nichts Schlimmes daran sein.
    Kräftige Böen strichen um den Schuppen, brachten ihn zum Ächzen und Knarren, als würde er mit dem Jungen sprechen wollen. Wellen gluckerten und schwappten gegen das Außentor.
    Durch die Bretterwand hörte er viele Männerstimmen, die sich von der Anlegestelle her in Richtung der Stadt bewegten. Es mussten die Fischer sein, die Kiurikka zum Bewachen des Wals abgestellt hatte.
    Den Wortfetzen nach, die zu ihm durchdrangen, mussten sie wegen der immer stärker werdenden See ihren Standort auf dem Meer verlassen haben. Und offenbar sichtete keiner der Männer einen weiteren Gamur.
    Der erhoffte Gnadenerweis Kalisstras blieb damit aus. Er würde seine Magie nur zur Verteidigung benutzen. Auch alles andere, was er noch von Waljakov lernte, würde nur dazu dienen, sich oder andere vor Gefahren zu bewahren. Er würde nie mehr jemanden als Erster schlagen. Lorin schaute in die Flammen und beobachtete das zuckende Spiel des Feuers. Er würde kein Tyrann und kein schlechter Mensch, wie es sein Vater war. Matuc sollte seinetwegen nicht unglücklich sein. Das wollte er bei Kalisstra und bei Ulldrael geloben.
    Entschlossen erhob er sich, löschte das Feuer und trabte durch die leeren Straßen seiner Heimatstadt. Er lief zu der Seitengasse, von der ihm die Priesterin erzählt hatte. Dort irgendwo, da war sich Lorin sicher, lag noch immer der Diamant. Wenn er ihn finden und zurückbringen würde, müsste ihm die Bleiche Göttin all seine Taten vergeben.
    Mit den bloßen Fingern wühlte er in der zentimeterhohen Schneeschicht, um das gefrorene Kopfsteinpflaster freizulegen. Doch die Kälte machte ihm schwer zu schaffen, und so schleppte er sich im Morgengrauen zurück in die Kate. Seine eisigen Hände spürte er kaum mehr.
    Matuc saß eingeschlafen vor dem beinahe erloschenen Ofen und bemerkte die Rückkehr seines Zöglings nicht.
    Lorin war viel zu erschöpft, um ihn zu wecken und ihm seinen Entschluss zu verkünden, und so schlich er sich ins Bett, um nur wenig später einzuschlafen.
    Er würde den Diamanten finden, dachte er kurz vor der Schwelle zum Reich der Träume. Zu irgendetwas musste das alles doch gut sein, was ihm widerfuhr.

VII.
    Du wirst noch heute Nacht vom Gehöft verschwinden, zurück nach Borasgotan oder wo immer du hin

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