Unter Den Augen Tzulans
willst‹, befahl der uralte Diener des Bösen. ›Beeile dich, kleine Frau.‹
Die Seherin war schwach und klein, und sie folgte dem Befehl des Beobachters. Sie wollte nur weg von diesen Kreaturen und weg von diesem Mann, der mit Mächten im Bunde stand, mit denen sie nichts zu tun haben wollte.
Und die Seherin rannte in die Dunkelheit, während sie in ihrem Kopf immer noch das Wispern des Beobachters zu hören glaubte.
DAS BUCH DER SEHERIN
Ulldart, Großreich Tarpol, Hauptstadt Ulsar, Frühjahr 457 n.S.
Die Luft war erfüllt von Lachen, Musik und den Unterhaltungen unzähliger Menschen, die sich auf der Ebene vor der Hauptstadt versammelten. Rund zehntausend Männer, Frauen und Kinder waren der Einladung gefolgt, sich bei den großen Pferderenntagen zu Ehren des Kabcar und anlässlich des Sieges über die angorjanische Flotte vor der tersionischen Küste zu kostenlosem Essen und Trinken zu treffen. Die Bäckereien und Schlachtereien verbrachten Tage mit den Vorbereitungen, um für den Ansturm auf Brot, Schinken und all die anderen Sachen gewappnet zu sein.
Die grünenden Hügel waren mit Tribünen versehen worden, damit das Publikum möglichst viel von dem Spektakel zu sehen bekam, das sich bald abspielen sollte. Der Herrscher des Großreichs Tarpol rief zum Wettreiten auf, und demjenigen, der seinen Reiter schlug, winkten tausend Waslec.
Das Besondere daran war, dass sein eigener Streiter gerade den dreizehnten Geburtstag gefeiert hatte. Tokaro Balasy wurde als bester Reiter des Kontinents gepriesen, trotz seines geringen Alters und seiner scheinbar geringen Erfahrung im Sattel.
Eine solche »leichte Beute« wollten sich etliche Reiter nicht entgehen lassen. Die Schar war so groß, dass Ausscheidungsrennen anberaumt wurden, um das halbe Dutzend der Schnellsten zu ermitteln. Nur ihnen sollte es erlaubt sein, gegen den Jungen anzutreten. Und so donnerten, stampften und wühlten die Pferdehufe unablässig. Die Zuschauer wetteten auf den Ausgang der Ritte und hatten ihren Spaß bei einem Turnier, wie es Ulsar noch nie zuvor gesehen hatte.
Tokaro machte es sich in seinem Zelt bequem, trank ein wenig von der kredenzten Milch und hob den rechten Fuß als Zeichen, dass er seine Reitstiefel angelegt haben wollte. An den Luxus, in dem er und seine Mutter seit einem knappen Jahr lebten, gewöhnte er sich sehr schnell.
Der Umzug in das Haus mit Stallungen etwas außerhalb der Hauptstadt brachte nur Vorteile, der Kabcar spendierte seinem neuen Wettreiter sogar einen eigenen Knecht und eine eigene Magd. Somit musste nicht einmal mehr seine Mutter Hand an irgendetwas legen, sondern konnte die Vorteile einer Dienerschaft genießen. Das Auskommen, das ihnen ein Bote jeden Anfang des Monats überbrachte, reichte für eine ganze Familie aus.
Und dennoch sparte Tokaro bei jeder Gelegenheit, um seinem Ziel, die Tadca eines Tages ehelichen zu können, näher zu kommen. Um den Ruhm machte er sich keine Sorgen, den besaß er bereits jetzt schon, und spätestens nach seinem heutigen Sieg würde er zu einem Helden in Tarpol.
Nur das Geld würde noch ein wenig auf sich warten lassen. Das bereitete dem Jungen insofern Kopfzerbrechen, weil er Angst hatte, Zvatochna würde in der Zwischenzeit einen Prinzen finden, der ihr mit seinem Reichtum alles kaufen könnte.
Deshalb war der Knabe, bei allem Besitz, eher knauserig als spendabel. Auch eignete er sich eine gewisse herablassende Art an, um vornehmer und adliger zu wirken als er wirklich war.
Nun war es endlich so weit, wie der Ausrufer auf dem Platz verkündete. Die sechs Schnellsten standen fest, und sie würden nun gegen ihn antreten.
Der Stiefelknecht schob ihm die polierten Reitstiefel über die Füße. Tokaro warf sich die schwere Uniformjacke über, die aufwändig mit Stickereien verziert worden war, setzte sich den Kavalleriehelm auf und stülpte sich die Handschuhe über.
»Ich glaube, es kann losgehen«, sagte er zu dem Mann, steckte die Rechte in die Hosentasche, wo er den Anhänger Zvatochnas aufbewahrte. Von ihm erhoffte er sich Glück für den Tag, der ihm zu legendärem Ruf verhelfen sollte. »Du kannst schon mal die Trophäe auf den Tisch stellen, ich gewinne sie ohnehin.«
Er trat hinaus in den Sonnenschein, schlenderte zu Treskor, der unter der Bewachung von zwei Soldaten neben dem Zelt stand und ein paar saftige Halme knabberte. Eigenhändig legte er dem Hengst den Sattel auf, obwohl ihm das trotz des Podestes, das für ihn aufgebaut worden war, einige
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