Unter Den Augen Tzulans
einer anderen Frau.
Kontinent Ulldart, Königreich Tarpol, Hauptstadt Ulsar, Winter 444 n.S.
Nur wenige kannten den Raum in den Tiefen des gewaltigen Ulldrael-Tempels. Im Gegensatz zum Protz und Prunk, der im übrigen Gebäude herrschte, wirkten die Marmorwände des Zimmers schmucklos. Nur die Statuette des Gottes, aufgestellt in einer Nische, erinnerte daran, wo man sich befand. Kerzenleuchter verbreiteten warmes Licht, langsam verbrennende Kräuter in den aufgestellten Kohlebecken sorgten für einen harzig-würzigen Geruch.
In diesem abgelegenen Besprechungszimmer, in dem normalerweise über die Inhalte neuer Lieder und Gebete zu Ehren des Gerechten entschieden wurde, beriet man sich in den Abendstunden in einer düsteren Angelegenheit, die weit von den üblichen Lehren Ulldraels abwich.
Der Geheime Rat hatte sich vollständig versammelt. Den Männern in den goldenen Roben, deren Gesichter durch die Kapuzen kaum erkennbar waren, gegenüber saß ein Mann mit kurzen, dunkelbraunen Haaren und braunen Augen. Er trug eine schlichte Bauerntracht, die großteils unter seinem weiten Mantel verborgen war, und nichts wies auf die Gefährlichkeit des Gastes hin, den die Vorsteher aller Ulldraelgläubigen Tarpols und Tûris in ihren Mauern beherbergten.
»Wir alle haben den gleichen Glauben, Bruder Bransko«, begann der Obere freundlich. »Also sollten wir zusammenarbeiten.«
»Du willst mit einem Orden zusammenarbeiten, den es eigentlich nicht gibt? Das wundert mich.« Der Besucher lächelte. »Zumindest behauptet das der Geheime Rat immer, dass wir nicht existieren.«
»Es hätte beim einfachen Volk keinen guten Eindruck gemacht, wenn wir euch anerkennen würden«, erklärte der Obere unter der Kapuze heraus. »Wir werden es auch niemals tun. Die Gläubigen sollen auf den Feldern ihrer aufgetragenen Arbeit nachkommen. Nicht auszudenken, wenn sie sich berufen fühlten, zu Kämpfern zu werden.« Er steckte die Hände in die weiten Ärmel seiner Robe. »Das überlassen wir lieber den Ritterorden. Und man konnte sehen, was mit ihnen geschah.«
»Wir sind auf eure Anerkennung nicht angewiesen. So ist es sogar wesentlich besser. Es ist dennoch dringend an der Zeit, dass etwas geschieht«, meinte der Gast. »Vor allem jetzt, da der Handlungsbedarf deutlicher denn je sichtbar ist. Nach der Niederlage des Geeinten Heeres muss es unsere Aufgabe sein, den Kabcar endlich zu beseitigen, um Schlimmeres zu verhindern.«
»Der Geheime Rat sieht das ähnlich.« Der Obere neigte das Haupt. »Aber eure Aktionen haben nur dazu geführt, dass der Herrscher misstrauischer wurde. Es nimmt die Ausmaße eines Verfolgungswahns an. Einen Unbekannten in seine Nähe zu schmuggeln, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.« Er nahm ein schlankes Stilett, das er anscheinend in seinem Ärmel aufbewahrt hatte, hervor und legte es auf den Tisch. »Das Gift, mit dem diese Klinge behandelt wurde, ist nach unseren Erkenntnissen mit Abstand das Tödlichste, was es jemals gab. Einer unserer Mönche führte es wohl mit sich, als er den Kabcar umbringen sollte. Dummerweise versagte er. Tzulan hat diesen Jungen damals bei der Krönung vor Schaden bewahrt.« Er deutete auf die Waffe mit der gläsernen Spitze. »Du siehst, Bruder Bransko, auch wir waren nicht untätig.«
»Aber genauso erfolglos wie wir. Tzulan selbst scheint immer da zu sein, wenn der Kabcar ihn benötigt.« Der Mann betrachtete das Stilett mit der eingeschlossenen Flüssigkeit. »Eine ungewöhnliche Arbeit. Ich habe bislang nichts Ähnliches gesehen. Und ich sah manches an Werkzeugen, mit denen Ulldraels Wille durchgesetzt werden konnte.«
»Und um ihn endlich in die Tat umzusetzen, bist du hier«, sagte der Obere. Zwei niedere Brüder verschoben wie beiläufig die Kohlebecken mit dem Räucherwerk in die Richtung des Gastes, woraufhin dieser lachen musste.
»Das kannst du dir sparen. Ich reagiere nicht auf den Rauch der Wahrheit. Bevor diese Substanzen wirken, seid ihr alle von den Stühlen gefallen.« Bransko grinste. »Es gehört zu unserer Ausbildung, sich mit diesen Pflanzen zu beschäftigen.«
»Ich wollte nur, dass du den exquisiten Geruch besser wahrnimmst«, log der Obere und erwiderte das falsche Lächeln. »Wir züchten die besten Kräuter in unseren Gärten.« Er lehnte sich etwas zurück. »Nun, lass uns beratschlagen, wie wir diesem Attentat zu Erfolg verhelfen.«
»Ich muss nur unauffällig in die Nähe des Kabcar kommen. Dann ist es um ihn geschehen. Mit diesem Stilett
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