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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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damit gemeint, sondern die beiden blauen Jungs eben!« Er steckte das Päckchen in die Aktentasche. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
    Fräulein Polzin nannte den Betrag. »Ich erschrecke jedesmal, wenn ich einen Uniformierten in das Geschäft kommen sehe. Neulich war ein Polizist hier und hat gefragt, ob wir verbotene Bücher verkaufen. Eine ziemlich dämliche Frage übrigens, denn wer antwortet darauf schon mit Ja? Ich habe ihm vorgeschlagen: ›Bitte sehen Sie sich um, was wir haben, ist politisch und weltanschaulich absolut unbedenklich!‹ – Das hat er wohl in seinem Sinne interpretiert, hat einen kurzen Blick auf den Ladentisch und die ledergebundenen Ausgaben von Mein Kampf geworfen und ist wieder abgezogen.« Sie kicherte. »Oder finden Sie etwa Thomas Mann weltanschaulich inkorrekt?«
    »Keineswegs, keineswegs!« beteuerte Karl. »Auch das Päckchen Döblin in meiner Aktentasche ist politisch höchst unbedenklich.«
    »Erschrecken Sie bitte nicht, wenn Sie die Schutzumschläge sehen! Rosenbergs Lebensraum hatte zufällig die gleichen Abmessungen wie die Döblin-Bände. – Seit der Polizist hier war, sind wir nämlich vorsichtiger geworden.«
    Karl nickte. »Einer aus der Schweizer Botschaft versorgt mich regelmäßig mit Seiten aus der Times . Er steckt sie in die Frankfurter Zeitung und läßt sie im Schreibsaal liegen, wenn er sieht, daß wir alleine sind.«
    Fräulein Polzin brachte Karl zum Hinterausgang. »Grüßen Sie bitte Fräulein Binder herzlich von mir. Oder ist sie wieder auf Tournee?«
    »Nein, allerdings ist sie bloß noch heute in Berlin. Morgen geht es dann nach Dänemark.«
    Vera war ganz zu Karl gezogen. In der Laube wohnte eine Familie aus Pankow, die ausgebombt worden war. Vater Binder hatte im Garten einen behelfsmäßigen Unterstand gebaut, der vielleicht Schutz gegen Granatensplitter bot, aber keiner Handgranate standhalten würde. In der Florastraße gab es immerhin einen gemauerten Luftschutzraum mit Durchbrüchen zu den Nachbarkellern.
    Karl stellte das Notköfferchen und die Stablampe neben den Nachttisch. Vera saß auf der Bettkante und packte ihren Reisekoffer.
    »Magst du ein paar Oliven?« Sie hielt ihm die Untertasse hin.
    »Lieber ein Stück Camembert.«
    Veras Mitbringsel aus Frankreich stellten Delikatessen dar, die es in Berlin lange nicht mehr gab. Nach Stalingrad war die allgemeine Zuteilungsmenge an Lebensmitteln spärlicher und spärlicher geworden. Karl war durch seine Arbeit im Adlon davon weniger betroffen als die meisten Berliner. Küchenchef Fliegenwald sorgte für anständiges Personalessen, denn Ribbentrops Diplomaten- jour fixe garantierte gut gefüllte Vorratskammern. Es fiel immer etwas ab. Die Elite der Nazis kannte keine Einschränkungen. Sven Hedin, der bei Göring zu Besuch gewesen war, hatte Klempert die üppige Tafel in Carinhall beschrieben: »Das Mahl war lukullisch. Es gab Butter und echten Schweizer Käse, Kaviar, Hummer, frisches Spanferkel, Salate und Delikatessen aller Art.«
    »Karl?«
    »Ja?«
    »Mir geht der Brief von Professor Blum nicht aus dem Kopf. Was meint er mit: ›Ein guter Bekannter wird gelegentlich bei Ihnen vorsprechen‹?«
    »Keine Ahnung. Er hat den Brief ja bewußt sehr vorsichtig formuliert, keine Namen genannt. Selbst in der Anrede hat er ›Lieber Freund‹ geschrieben und nicht ›Lieber Karl‹ wie sonst. – Vielleicht wollte er Doktor Ören keinen allzu reinen Wein einschenken. Du mußt bedenken, das Kuvert war nicht zugeklebt.«
    Auf dem Nachttisch lagen die Döblin-Bände. Vera zog die Rosenberg-Schutzumschläge ab und zerknüllte sie. »Feueranmachpapier, Karlchen!«
    Karl kickte die Papierkugeln in die Ofenecke. Er klappte eine flache Blechdose auf und warf Vera eine ovale Orientzigarette zu. Doktor Ören entrichtete seine Trinkgelder zur Freude aller Raucher neuerdings in Zigarettenwährung.
    Vera gab sich und Karl Feuer. »Merkwürdiger Brief.« Ihre Hand strich über den Leineneinband von Berlin Alexanderplatz . »Es stand fast gar nichts drin.«
    Karl öffnete die Ofenklappe und entsorgte die Schutzumschläge. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Was nicht bedeuten muß, daß er Doktor Ören mißtraut. Auch Diplomaten werden natürlich bespitzelt, was das Zeug hält. Als neulich die spanische Botschaft zwei Militärattachés bei uns einquartiert hatte, haben Burmeisters Ratten in ihrer Abwesenheit die Zimmer gefilzt. – Aber selbst wenn dieser Brief der Gestapo oder der Abwehr in die Hände gefallen

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