Unter den Linden Nummer Eins
Rechten schauen.«
»Ich bleibe hier«, sagte Lilo. »Ich traue dem Luftschutzraum bei uns im Haus nicht.«
»Es soll nachts wieder Nebel geben. Da darf man hoffen«, sagte Karl. »Außerdem brauche ich dringend frische Wäsche.«
»Unter meinem Spind liegt noch ein Stapel Zeitungen, falls du heizen willst«, sagte Klempert.
Rund um den S-Bahnhof Pankow-Nord waren die Fensteröffnungen mit Pappe vernagelt. Karl traf eine Hausnachbarin, die einen Handwagen mit Preßkohlen zog.
»Ich dachte schon, Sie wohnen nicht mehr bei uns im Haus, Herr Meunier.«
»Ich denke das auch manchmal.« Karl zeigte auf die zugenagelten Fenster. »Luftmine?«
»Auch Brandbomben. Hinten in der Steegerstraße sind zwei Häuser völlig zerstört. Es gab zehn Tote.«
»Und bei uns?«
»Da sind bloß die Scheiben und ein paar Türen draußen. So wie hier.«
›Mist!‹ dachte Karl. ›Wo krieg ich jetzt auf die Schnelle Pappe her?‹ Er half der Frau beim Ziehen. »Wissen Sie, wer Pappe hat?« Er hob die Aktentasche. »Pappe gegen Schnaps.«
»Sie haben es gut, Sie sitzen im Adlon an der Quelle! – Was haben Sie denn?«
»Doppelkorn, einen halben Liter. Beste Qualität.«
»Ich habe Pappe«, sagte die Nachbarin.
»Pappe und Nägel«, sagte Karl.
»Nägel habe ich auch.«
Es war nicht ganz so tragisch, wie er befürchtet hatte. Die Druckwelle der Mine hatte nur die Scheiben an der Straßenfront zerspringen lassen. Karl heizte in der Küche, setzte Teewasser auf und fegte im Wohnzimmer die Scherben zusammen. Dann suchte er nach dem Hammer. Er fand ihn im Werkzeugkasten auf dem Balkon.
Der Hauswart trieb Pfähle vor die Kellerfenstergitter in den Rasen und häufte Erdreich davor. Karl hörte, daß er sich dabei unterhielt. Mit wem, konnte er nicht sehen.
Während er die Pappe mit einem Ausbeinmesser auf dem Balkontisch zuschnitt, klopfte es an der Wohnungstür.
»Moment!« Karl hatte die Pappe mit dem Hammer beschwert. Ein Regalbrett diente als Lineal. Karl führte den Schnitt zu Ende und ging zur Tür. Es klopfte erneut.
»Bin schon da!« Er öffnete.
Vor der Tür stand ein Mann in seinem Alter. Karl bemerkte sofort das Parteiabzeichen am Revers. Er war einen Kopf kleiner und trug einen langen schwarzen Ledermantel. »Spreche ich mit Herrn Meunier?«
»Ja«, sagte Karl.
Der Mann hatte die Hände in den Manteltaschen. Sein Blick fiel auf das Ausbeinmesser in Karls Faust.
Blitzschnell stellte er den Fuß in die Tür. Karl schaute in eine Pistolenmündung. »Lassen Sie das Messer fallen!«
Karl gehorchte.
»Und jetzt gehen Sie langsam rückwärts und heben die Arme. – Langsam!«
Karl tat, wie ihm befohlen. Der Mann zog die Tür hinter sich zu und schob mit dem Schuh das Messer unter die Flurgarderobe. Karl ließ die Arme fallen.
»Hoch mit den Armen!«
Karl schaute dem Mann in die Augen und lächelte. »Wer immer Sie sein mögen, von der Gestapo sind Sie jedenfalls nicht!«
Der Mann streckte den Arm mit der Pistole. »Die Arme hoch!«
Karl ignorierte die Aufforderung und machte eine einladende Handbewegung.
»Gestapoleute haben keine Brownings. Und falls doch, dann wissen sie, daß sie erst den Sicherungshebel herunterdrücken müssen, bevor sie jemanden umlegen. – Kommen Sie mit in die Küche, ich habe Tee gekocht.«
Auf dem Küchenschrank lagen Döblins Berlin Alexanderplatz und Zweigs Ungeduld des Herzens . Vera hatte den Roman von Stefan Zweig auf einer Hollandtournee antiquarisch in Amsterdam erworben.
Der Mann ließ die Pistole sinken. »Sie scheinen wirklich Karl Meunier zu sein. Entschuldigen Sie mein martialisches Auftreten. Das Messer hat mich irritiert.«
»Schon in Ordnung – Sie werden der Besuch sein, den Professor Blum angekündigt hat.«
Der Mann nickte. »Wir brauchen Ihre Hilfe.«
»Wer ist wir ?«
»Das ist im Moment ohne Bedeutung, Herr Meunier.«
»Keineswegs. Sie tragen den Bonbon am Aufschlag. Sie kleiden sich wie diese Gestapo-Schergen. Sie haben durch Zufall erfahren, daß Professor Blum mit mir bekannt ist. – Sie könnten mir auch bloß eine geschickte Falle stellen.«
Der Mann wollte etwas sagen, aber Karl schnitt ihm das Wort ab. »Ich glaube Ihnen, daß Sie mich nicht verhaften wollen, sonst hätte ich Ihnen spätestens im Flur die Pistole aus der Hand getreten. Außerdem kommen die von der Gestapo immer zu zweit.«
Der Mann setzte sich wortlos an den Küchentisch. Er steckte die Pistole in die Manteltasche und schob den rechten Ärmel bis zum Ellenbogen hoch. »Genügt
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